Im Schatten der TV-Titanen: Michelle Hunziker übernimmt Gottschalks Erbe – Die geheime Sorge der Moderatorin und der radikale Strategiewechsel bei RTL
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Nur eine Woche nach dem offiziellen und emotionalen Abschied von Thomas Gottschalk, Barbara Schöneberger und Günther Jauch von der beliebten RTL-Show „Denn sie wissen nicht, was passiert“, hat der Sender eine Entscheidung getroffen, die die deutsche Medienlandschaft in ihren Grundfesten erschüttert: Michelle Hunziker, die legendäre Co-Moderatorin von Gottschalks „Wetten, dass..?“-Ära, tritt in die Fußstapfen des Show-Giganten. Die Nachricht markiert weit mehr als nur einen Personalwechsel; sie steht sinnbildlich für den Beginn einer neuen Ära in der deutschen Samstagabend-Unterhaltung – einer Ära, die sich im unvermeidlichen Schatten der TV-Titanen neu definieren muss.

Der Abschied und die Last des nationalen Rituals

Am 6. Dezember standen Thomas Gottschalk, Barbara Schöneberger und Günther Jauch ein letztes Mal gemeinsam für eine Ausgabe der Erfolgsshow vor der Kamera. Ihr Abschied war nicht nur ein programmlicher Einschnitt, sondern ein emotionaler Bruch für Millionen von Zuschauern. Denn der Samstagabend im deutschen Fernsehen ist mehr als nur ein Sendeplatz; er ist ein nationales Ritual. Seit Jahrzehnten versammeln sich Familien genau zu dieser Zeit vor dem Fernseher, nicht wegen einzelner Spiele oder Regeln, sondern wegen eines Gefühls von Verlässlichkeit, Gemeinsamkeit und einem vertrauten Ton, der den Übergang vom Alltag ins Wochenende markiert.

Formate, die diesen Sendeplatz prägten – sei es „Wetten, dass..?“ oder später „Denn sie wissen nicht, was passiert“ – waren stets soziale Fixpunkte. Thomas Gottschalk war über Generationen hinweg ihr unbestrittener Gesicht. Deshalb löst sein Rückzug stärkere Reaktionen aus als in anderen Zeitfenstern, da viele Zuschauer diese Shows mit biographischen Erinnerungen verbinden. Wenn sich das Gesicht einer solchen Sendung ändert, fühlt es sich für manche an, als würde ein Stück eigener Geschichte infrage gestellt.

Michelle Hunziker: Die Rückkehr in die Fußstapfen

Mit Michelle Hunziker setzt RTL auf ein vertrautes Gesicht, das jedoch eine andere Energie mitbringt: jünger, internationaler und stärker auf Performance ausgerichtet. Die Moderatorin ist keine Unbekannte auf den großen Bühnen; zwischen 2009 und 2011 war sie an der Seite von Thomas Gottschalk Teil einer der größten Samstagabendshows der deutschsprachigen Fernsehgeschichte, „Wetten, dass..?“. Nun tritt sie in seine Fußstapfen bei RTL.

Ihre Begeisterung für die neue Rolle ist unverkennbar. Gegenüber der Bild erklärte sie: „Ich liebe Live-Sendungen und Improvisation. Man wird ins kalte Wasser geworfen und weiß nie, was passiert. Das macht mir riesigen Spaß. Diese Show ist wie ein Kindergeburtstag für Erwachsene“. Hunziker signalisiert damit eine Bereitschaft zu körperlichen Herausforderungen, peinlichen Kostümen und dem unvorhersehbaren Chaos, das die Sendung auszeichnet.

Die eine große Sorge: Quizfragen über Deutschland

Michelle Hunziker tritt am Samstag in Gottschalks Fußstapfen - FOCUS online

Doch trotz ihrer Begeisterung ist sich Hunziker des immensen Drucks bewusst. Und sie enthüllt offen ihre größte Sorge, die ihre menschliche Verletzlichkeit inmitten des gigantischen Erbes des deutschen Fernsehens unterstreicht: „Quizfragen über Deutschland. Ich lebe in Italien. Bei aktuellen Themen aus Deutschland bin ich nicht immer auf dem neuesten Stand“, gibt sie offen zu.

Diese Angst ist symptomatisch für die Herausforderung. Gottschalk stand jahrzehntelang für eine intime Vertrautheit mit den kulturellen Codes und der aktuellen Befindlichkeit der Nation. Hunziker, als „Brückenfigur“ zwischen Deutschland und Italien, muss diesen Spagat meistern. Das Publikum wird nicht nur ihren Moderationsstil, sondern auch ihre kulturelle „Passform“ beurteilen.

Vielfalt statt Ikone: Der radikale Strategiewechsel

RTL ist sich der Erwartungsfalle bewusst. Ein Teil des Publikums wünscht sich Veränderung, der andere Teil sehnt sich nach der goldenen Ära zurück. Um diesem Dilemma zu entkommen und die Abhängigkeit von einer einzelnen, unersetzlichen Ikone zu beenden, setzt der Sender auf ein bewusstes Konzept: Vielfalt statt Einzelfigur.

Neben Michelle Hunziker hat RTL vier weitere prominente Gesichter verpflichtet: Die Magier Andrej und Chris Ehrlich, bekannt als die Ehrlich Brothers, sowie die Moderatoren Jana Ina und Giovanni Zarrella. Gemeinsam bilden sie das neue Moderatorenteam der Show.

Diese neue Besetzung markiert einen klaren strategischen Bruch mit der Vergangenheit. Anstelle eines einzigen dominierenden Moderators wird die Sendung nun als gemeinschaftliches Spielfeld gedacht, in dem Interaktion, Überraschung und individuelle Charaktere im Mittelpunkt stehen. Der kollektive Moderationsansatz spiegelt einen allgemeinen Trend im deutschen Fernsehen wider: die Verteilung der Verantwortung und die Abkehr von der Abhängigkeit von einer einzelnen Leitfigur. Dies bietet Chancen zur Erneuerung, birgt aber auch Risiken. Viele Zuschauer lieben die Show gerade wegen der besonderen, über Jahre gewachsenen Chemie des früheren Trios. Diese Chemie lässt sich nicht planen.

Der unsichtbare Maßstab: Gottschalks Vermächtnis

Obwohl Thomas Gottschalk offiziell gegangen ist, bleibt er der unsichtbare Maßstab. Jede zukünftige Folge wird unweigerlich mit der Frage betrachtet werden: „Wäre es mit Gottschalk anders gewesen?“. Diese Vergleiche entstehen nicht aus Böswilligkeit, sondern weil Gottschalk diese Art der Unterhaltung jahrzehntelang geprägt hat.

Michelle Hunziker ist sich dieses Drucks bewusst. Sie weiß, dass sie kein zweiter Thomas Gottschalk sein kann und auch nicht sein sollte. Stattdessen möchte sie ihre eigene Farbe einbringen: Leichtigkeit, Lebensfreude und positive Energie. Ihre internationalen Prägung, ihre Fähigkeit, verschiedene Generationen anzusprechen, und ihr Humor ohne Zynismus könnten sich als ihre größte Stärke erweisen. In einer Medienlandschaft, die oft von Skandalen und Zuspitzungen geprägt ist, wirkt Hunzikers Ansatz wohltuend altmodisch und gleichzeitig modern.

Ein Prüfstein für die Zukunft

Die Neubesetzung von „Denn sie wissen nicht, was passiert“ ist ein Härtetest für RTL und die gesamte Samstagabend-Unterhaltung. Es geht um die Balance zwischen Erneuerung und Bewahrung der Identität. Zu viel Erneuerung könnte langjährige Fans verlieren; zu viel Vorsicht könnte die Sendung in der Vergangenheit festhalten.

Michelle Hunziker und das neue Moderatorenteam stehen vor einer Mammutaufgabe. Sie müssen neue Routinen, neue Erinnerungen und neue Lieblingsmomente etablieren, um den Vergleich mit Gottschalk verblassen zu lassen. Für RTL ist diese Phase ein Prüfstein: Gelingt es, ein traditionsreiches Format zu erneuern, ohne es zu entfremden? Kann Samstagabend-Unterhaltung heute noch verbindend wirken in einer fragmentierten Medienwelt?

Die Antwort wird sich nicht in einer einzigen Quote zeigen, sondern über Monate, vielleicht Jahre. Hunzikers Rolle als „Brückenfigur“ und das neue Kollektivprinzip sind ein mutiger Schritt weg von der klassischen TV-Ikone. Es ist ein offener Prozess. Sicher ist nur: Der Samstagabend wird nicht mehr derselbe sein. Aber vielleicht muss er das auch nicht. Denn jede Generation braucht ihre eigenen Stimmen, ihre eigenen Rituale und ihre eigenen Erinnerungen. Die Frage ist, ob Thomas Gottschalk ersetzt werden kann – er kann es nicht. Die Frage ist, ob etwas Neues entstehen darf, ohne ständig mit dem Alten verglichen zu werden. Genau daran wird sich die Zukunft dieses Formats entscheiden.