Es gibt Momente, da scheint die Welt für einen Herzschlag lang stillzustehen. Als die Nachricht vom Tod Franz Beckenbauers am 7. Januar 2024 die Runde machte, war es einer dieser Momente. Der “Kaiser”, die Lichtgestalt, der Mann, der dem deutschen Fußball seine Eleganz und sein Sommermärchen schenkte, hatte seine letzte Reise angetreten. Doch während Millionen Fans weltweit trauerten und alte Jubelbilder von 1974 und 1990 teilten, brannte sich ein anderes, leiseres Bild in das kollektive Gedächtnis ein: Es ist das Foto seines letzten öffentlichen Auftritts. Ein Bild, das heute, im Rückblick, eine herzzerreißende Geschichte von Abschied, Tapferkeit und familiärem Zusammenhalt erzählt.

Ein Abschied beim Karpfenessen

Wir schreiben den 6. Januar 2023. Im verschneiten Kitzbühel, dem langjährigen Rückzugsort der Fußball-Legende, lädt Franz Beckenbauer zum traditionellen Karpfenessen in das Hotel “Kitzhof” ein. Es ist ein Termin, der ihm heilig war, eine Tradition, die er über drei Jahrzehnte pflegte. Doch dieses Mal war alles anders. Das Foto, das an diesem Abend entstand, zeigt einen Mann, der zwar lächelt, aber von Krankheit gezeichnet ist. An seiner Seite: seine Frau Heidi und sein Sohn Joel. Sie stützen ihn, nicht nur physisch, sondern auch seelisch.

Es wirkt fast prophetisch, dass dieser Auftritt fast auf den Tag genau ein Jahr vor seinem Tod stattfand. Beckenbauer, der einst als Spieler über den Platz schwebte und als Teamchef unantastbar wirkte, zeigte sich hier verletzlich. Er war ein Schatten seiner selbst geworden, das rechte Auge durch einen Augeninfarkt beeinträchtigt, das Herz geschwächt durch mehrere Operationen. Und doch ließ er es sich nicht nehmen, seine Freunde und Weggefährten noch einmal zu sehen. Es war, wie wir heute wissen, sein stilles “Servus” an die Öffentlichkeit.

Die bittere Wahrheit hinter dem Lächeln

Damals, im Januar 2023, versuchte der Kaiser noch, Optimismus zu verbreiten. Gegenüber der “Bild”-Zeitung sagte er jene Sätze, die heute so schwer wiegen: “Mir geht es den Umständen entsprechend soweit gut. Wenn es so bleibt, bin ich zufrieden.” Es war typisch Beckenbauer. Keine Klage, kein Jammern, stattdessen eine bescheidene Dankbarkeit. Doch die Realität sah düsterer aus.

Die Fassade der Hoffnung bekam Risse, als kurz vor seinem Tod die ARD-Dokumentation “Beckenbauer” ausgestrahlt wurde. Darin sprach sein Bruder Walter Beckenbauer jene Worte aus, die viele befürchtet hatten, aber niemand wahrhaben wollte: “Wenn ich jetzt sagen würde, es geht ihm gut, dann würde ich lügen, und ich lüge ungern. Es geht ihm nicht gut. Es ist ein ständiges Auf und Ab.” Diese Ehrlichkeit erschütterte die Nation. Sie machte deutlich, dass der Mann, der als unbesiegbar galt, seinen schwersten Kampf kämpfte.

Joel Beckenbauer: Der Sohn tritt ins Licht

Wie ernst die Lage in den Monaten nach dem Karpfenessen wirklich wurde, zeigte sich im Februar 2023. Der “Askania Award”, ein Preis für sein Lebenswerk, sollte dem Kaiser verliehen werden. Doch Franz Beckenbauer konnte nicht mehr reisen. Stattdessen betrat sein Sohn Joel die Bühne in Berlin. Der damals 24-Jährige nahm den Preis stellvertretend entgegen – ein Moment von großer Symbolkraft.

Joel, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist, sprach mit einer Reife und Wärme, die die Anwesenden rührte. “Ich bin froh, dass ich stellvertretend für ihn da sein darf”, sagte er bescheiden. Über den genauen Gesundheitszustand schwieg er diskret, aber er gab einen kleinen, intimen Einblick in den Alltag der Familie: Er versuche, seinen Vater so oft wie möglich zu besuchen. “Dann haben wir immer eine lustige Zeit”, erzählte Joel. Sie würden “ratschen” und natürlich Fußball schauen. Es sind diese kleinen, privaten Momente, die am Ende zählen, nicht die großen Pokale.

Ein Vermächtnis für die Ewigkeit

Das letzte Foto aus Kitzbühel ist mehr als nur ein Schnappschuss bei einem Essen. Es ist ein Dokument der Endlichkeit. Es zeigt uns, dass auch “Kaiser” sterblich sind. Aber es zeigt auch, was im Leben wirklich zählt: Familie, Zusammenhalt und die Würde, bis zum Schluss den Kopf oben zu behalten. Franz Beckenbauer hat sich zurückgezogen, still und leise, fernab des Rummels, den er so lange dirigiert hatte.

Was bleibt, sind die Erinnerungen an epochale Ereignisse: Der Kaiser mit dem Pokal 1974, der einsame Spaziergang über den Rasen von Rom 1990, der strahlende Organisator des Sommermärchens 2006. Aber in den Herzen vieler wird auch der Franz Beckenbauer vom Januar 2023 bleiben – der Mann, der beim Karpfenessen in Kitzbühel noch einmal milde in die Kamera lächelte, wohl wissend, dass es das letzte Mal sein könnte.

Die Welt hat eine Legende verloren, aber der Himmel hat nun seinen besten Libero. Danke für alles, Franz. Ruhe in Frieden.