Es ist der 29. Dezember 2013, ein Datum, das sich wie ein schwarzer Schleier über die Welt des Sports gelegt hat. Im französischen Méribel verunglückte Michael Schumacher, der Unbesiegbare, der siebenmalige Formel-1-Weltmeister, beim Skifahren. Ein Sturz, ein Aufprall auf einen Felsen, und plötzlich war nichts mehr wie zuvor. Aus dem strahlenden Helden im roten Ferrari wurde ein Patient, dessen Schicksal seit über einem Jahrzehnt hinter den dicken Mauern seiner Villa in der Schweiz verborgen bleibt.

Millionen Fans weltweit stellen sich seitdem täglich dieselbe quälende Frage: Wie geht es Schumi wirklich?

Doch die Antworten bleiben aus. Statt medizinischer Bulletins herrscht eine dröhnende Stille. Nun, über zehn Jahre nach dem Drama, hat Felix Damm, der langjährige Anwalt der Familie Schumacher, in einem seltenen und aufschlussreichen Interview mit dem „Legal Tribune Online“ (LTO) erklärt, warum dieses Schweigen nicht nur eine Wahl, sondern eine grausame Notwendigkeit ist.

Die Illusion vom „Finalen Bericht“

Viele Fans hofften jahrelang auf eine Art Erlösung – eine offizielle Pressemitteilung, die Klarheit schafft. Einmal sagen, was Sache ist, und dann Ruhe einkehren lassen. Doch genau diese Hoffnung hat Felix Damm nun zerschlagen.

„Wir haben auch mal überlegt, ob eine finale Meldung über den Gesundheitszustand der richtige Weg sein könnte“, gestand Damm im Interview. Doch die bittere Realität der Medienwelt machte diesen Gedanken zunichte. „Doch danach wäre ja nicht Schluss gewesen“, führt er weiter aus. Eine solche Meldung wäre kein Schlusspunkt gewesen, sondern der Startschuss für eine endlose Hetzjagd.

Damm verwendet dafür den Begriff der „Wasserstandsmeldungen“. Hätte die Familie einmal gesagt: „Es geht ihm so und so“, dann hätten die Medien nach einem Monat gefragt: „Und wie sieht es jetzt aus?“. Jeder kleine Fortschritt oder Rückschritt wäre seziert, analysiert und auf den Titelseiten ausgeschlachtet worden. Die Familie hätte die Kontrolle über die Deutungshoheit ihres eigenen Lebens völlig verloren. „Als Betroffener hat man es nicht in der Hand, den Medien damit einen Schlussstrich zu verordnen“, so das ernüchternde Fazit des Juristen.

Die juristische Falle der „Selbstöffnung“

Was viele nicht wissen: Es geht hier nicht nur um Privatsphäre, sondern um knallharten juristischen Selbstschutz. Damm erklärt einen komplexen Mechanismus, der zeigt, in welch verzwickter Lage sich Corinna Schumacher und die Kinder befinden.

Würde die Familie Informationen preisgeben, wäre das eine sogenannte „freiwillige Selbstöffnung“. Damit würden sie juristisch gesehen Tür und Tor öffnen. Sie könnten sich später kaum noch gegen Berichte wehren, die ihre Privatsphäre verletzen, weil sie das Thema ja selbst öffentlich gemacht haben. Das Schweigen ist also auch ein Schutzschild – eine rechtliche Festung, die gebaut wurde, um Michael Schumacher vor den gierigen Blicken der Öffentlichkeit zu bewahren, solange er sich nicht selbst wehren kann.

Corinna Schumacher: Eine Löwin kämpft um ihren Mann

Hinter dieser juristischen Strategie steht vor allem eine Person: Corinna Schumacher. Die Ehefrau des Rennfahrers trägt eine Last, die kaum vorstellbar ist. In der bewegenden Netflix-Dokumentation „Schumacher“ (2021) gab sie einen der wenigen, herzzerreißenden Einblicke in ihr Seelenleben.

„Michael ist hier. Anders, aber er ist hier. Und das gibt uns Kraft“, sagte sie unter Tränen. Diese wenigen Worte sagten mehr als tausend medizinische Berichte. Sie zeichnen das Bild eines Mannes, der zwar physisch anwesend ist, aber dessen altes Ich, der charismatische Weltstar, in weite Ferne gerückt ist.

„Wir leben zu Hause zusammen, wir therapieren, wir machen alles, damit es Michael besser geht und gut geht und dass er unseren Familienzusammenhalt spürt“, so Corinna weiter. Es ist der Kampf einer Familie, die versucht, Normalität in einem Leben zu finden, das durch einen Sekundenbruchteil für immer aus den Fugen geraten ist. Corinnas Mantra lautet: „Privat ist privat.“ Michael habe die Familie immer beschützt, nun beschütze die Familie Michael.

Ein Leben im Schatten des Schicksals

Kein Tag wie jeder andere: Michael Schumachers feiert 2000 in Suzuka ersten  WM-Titel im Ferrari - Eurosport

Der Kontrast könnte nicht schmerzhafter sein. Auf der einen Seite die Erinnerung an den triumphierenden Schumacher, der mit Champagnerduschen und dem Fingerzeig in den Himmel die Massen elektrisierte. Auf der anderen Seite die Stille in Gland am Genfersee.

Sein Sohn Mick, der mittlerweile selbst in der Formel 1 fuhr, muss ohne den aktiven Rat seines Vaters auskommen. In der Doku deutete er an, wie sehr ihm die Gespräche fehlen: „Ich glaube, dass wir uns jetzt in einer anderen Weise verstehen würden… Das ist es, was eigentlich die meiste Zeit in meinem Kopf ist, dass das so cool wäre. Das wäre alles. Ich würde alles aufgeben nur dafür.“ Ein Satz, der einem das Herz bricht.

Warum wir das Schweigen respektieren müssen

Die Erklärungen von Felix Damm sind logisch, aber für die Fans bleiben sie schmerzhaft. Sie bedeuten, dass wir wahrscheinlich nie erfahren werden, ob Michael Schumacher jemals wieder sprechen oder laufen kann. Doch vielleicht ist das auch gar nicht unser Recht.

Michael Schumacher hat uns jahrelang alles gegeben – Spannung, Emotionen, Nationalstolz. Jetzt, in seinem schwersten Kampf, fordert er – durch seine Familie vertreten – nur eines zurück: Würde und Ruhe.

Der „traurige Schluss“, den viele befürchten, ist vielleicht gar kein Ende, sondern ein andauernder Zustand des Beschützens. Die Familie hat sich entschieden, die Legende Michael Schumacher im öffentlichen Gedächtnis so zu bewahren, wie er war: stark, schnell und unbesiegbar. Den gebrechlichen, kämpfenden Menschen Michael überlassen sie denen, die ihn am meisten lieben – sich selbst.

Und so bleibt uns nur, den Hut zu ziehen vor Corinna Schumacher und ihrer Familie. Nicht für die Siege auf der Rennstrecke, sondern für diesen stillen, unermüdlichen Liebesdienst abseits der Kameras. #KeepFightingMichael

Loving, caring Michael Schumacher revealed in new documentary | Michael  Schumacher | The Guardian