Stellen Sie sich vor, es ist das Jahr 2025. Auf einer stillen Farm im US-Bundesstaat Massachusetts sitzt ein Mann, dessen Gesicht so vertraut ist wie das eines alten Familienmitglieds. Die Haare sind weiß, die Bewegungen langsamer, aber die Augen – diese unglaublich blauen, stechenden Augen – haben nichts von ihrer Magie verloren. Terence Hill, der Held, der Millionen Deutsche lehrte, dass man das Böse mit einem Grinsen und einer Schelle besiegen kann, ist 86 Jahre alt. Und er ist fertig mit dem Schweigen.

In einem Moment, der so gar nicht zu seinen lauten, fröhlichen Filmen passt, öffnet er ein altes Notizbuch. Seine Stimme ist leise, aber fest, als er vier Namen nennt. Vier Menschen aus seiner Vergangenheit, denen er bis heute nicht vergeben hat. Es ist keine Rache, kein wütendes Nach-Treten. Es ist eine späte Befreiung. Denn die Geschichte von Terence Hill ist nicht nur eine Geschichte von Ruhm und Erfolg. Es ist die Geschichte von Mario Girotti, einem sensiblen Künstler, der systematisch in eine Maske gezwungen wurde, die er fast 60 Jahre lang nicht ablegen durfte.

Die Geburt einer Legende – und der Tod einer Identität

Deutschland in den 70ern: Das Land lechzte nach Leichtigkeit, und Terence Hill lieferte sie. Zusammen mit seinem bulligen Partner Bud Spencer prügelte er sich durch den Wilden Westen, immer charmant, immer obenauf. Doch hinter den Kulissen herrschte ein brutales Regime.

Der erste Name auf Hills Liste ist Giuseppe Colizzi. Er war der Regisseur, der das Duo 1967 für “Gott vergibt… Django nie!” zusammenbrachte. Doch er war auch der Mann, der Mario Girotti zwang, zu sterben. “Du brauchst einen amerikanischen Namen”, entschied Colizzi kalt. “Girotti verkauft sich nicht.” Innerhalb von 24 Stunden musste Mario eine Liste mit 20 Namen durchgehen und sich entscheiden. Er wählte “Terence Hill”, weil die Initialen dieselben waren wie die seiner Mutter. Doch der Zwang, seine italienische Herkunft, seinen Namen, sein Ich verleugnen zu müssen, hinterließ eine tiefe Narbe. Es war der erste Schritt in die Fremdbestimmung. Er wurde zu einem Produkt, optimiert für den Markt, entkoppelt von seiner Seele.

Gefangen im goldenen Käfig der Komik

Der zweite Name trifft das Herz der Fans vielleicht am härtesten, denn er steht für die Filme, die wir alle lieben: Enzo Barboni. Der Regisseur der “Trinity”-Reihe (in Deutschland “Die rechte und die linke Hand des Teufels”) erkannte Hills Talent für Komik – und beutete es gnadenlos aus. Hill wollte schauspielern, er wollte Tiefe, er wollte Geschichten erzählen. Doch Barboni schrieb Drehbücher ohne Rücksprache um, strich ernste Szenen und zwang Hill immer tiefer in die Rolle des ewigen Clowns.

Drehbuchautor Ernesto Gastaldi enthüllte später, wie sehr Hill darunter litt. Er wurde in ein Korsett aus Slapstick und Grinsen gepresst. Jeder Versuch, auszubrechen, wurde im Keim erstickt. Hill fühlte sich nicht mehr als Künstler, sondern als “Lach-Maschine”, die auf Knopfdruck zu funktionieren hatte.

Die Stimme, die nicht seine war

Besonders schmerzhaft für die deutschen Fans ist der dritte Name: Rainer Brandt. Er ist in Deutschland eine Legende, der Erfinder des “Schnodderdeutsch”. Seine Synchronisationen machten die Filme hierzulande oft erst zu Mega-Hits. Er legte Hill Sprüche in den Mund, die im Original nie existierten – frech, respektlos, albern.

Doch für den echten Terence Hill, einen im Grunde schüchternen, höflichen und nachdenklichen Menschen, war dies eine Verletzung seiner Integrität. In Deutschland kannte man nicht Terence Hill, man kannte eine Kunstfigur, die Rainer Brandt erschaffen hatte. Hill fühlte sich fremd in seiner eigenen Haut, wenn er die deutschen Fassungen sah. Er wurde für eine Persönlichkeit geliebt, die er gar nicht besaß. Es war, als hätte man ihm seine Stimme genommen und durch die eines Pausenclowns ersetzt.

Der Profit über der Menschlichkeit

Der vierte Name steht für die Kälte des Geschäfts: Italo Zingarelli. Der mächtige Produzent sah in Hill und Spencer keine Menschen, sondern Goldesel. Nach dem gigantischen Erfolg von “Vier Fäuste für ein Halleluja” forderte er Output, Output, Output. Er ignorierte Hills Erschöpfung, seinen Wunsch nach Pausen, sein Privatleben. Hill wurde von Set zu Set geschoben, ausgepresst wie eine Zitrone.

Als in den 80ern der Erfolg nachließ – etwa beim ambitionierten “Don Camillo”-Projekt – ließ die Branche ihn fallen wie eine heiße Kartoffel. Dieselben Produzenten, die Millionen mit ihm verdient hatten, drehten ihm den Rücken zu. Hill fühlte sich verraten und benutzt. Die Krise von 1983 war der tiefe Fall nach dem Höhenflug, der ihn schließlich dazu brachte, sich weit weg von Europa, auf seine Farm in Massachusetts, zurückzuziehen.

Ein später Frieden

Warum spricht er jetzt, im Jahr 2025? “Ich vergebe nicht, um zu vergessen”, sagt der 86-Jährige in dem bewegenden Interview, “sondern um frei zu sein.” Es ist der Akt eines Mannes, der am Ende seines Lebens die Deutungshoheit über seine eigene Geschichte zurückfordert.

Terence Hill war für uns der unbesiegbare Held. Aber seine wahre Stärke zeigt er vielleicht erst heute. Nicht mit Fäusten, sondern mit der Verletzlichkeit, zuzugeben, dass auch Legenden bluten können. Er mahnt uns, hinter die Fassade des Ruhms zu blicken. Wir haben Jahrzehnte über seine Filme gelacht, aber wir haben selten gefragt, wie es dem Menschen ging, der uns dieses Lachen schenkte.

Heute lebt er zurückgezogen, im Frieden mit seinen Tieren und der Natur. Die Schatten der Vergangenheit sind noch da, aber indem er sie benennt, nimmt er ihnen die Macht. Mario Girotti hat überlebt. Und das ist vielleicht sein größter Sieg.