In der Berliner Politlandschaft herrscht derzeit eine Stimmung, die man nur als eine Mischung aus Realitätsverweigerung und bürokratischem Übereifer beschreiben kann. Während die deutsche Wirtschaft an allen Ecken und Enden unter der Last hoher Energiekosten, fehlender Fachkräfte und einer globalen Abkühlung ächzt, legt die Bundesregierung nach, als gäbe es kein Morgen mehr. Hans-Ulrich Jörges, einer der profiliertesten politischen Beobachter und Kolumnisten des Landes, hat in seinem jüngsten Auftritt bei WELT kein Blatt vor den Mund genommen und die aktuelle Lage mit einer Schärfe analysiert, die den Verantwortlichen in den Ministerien die Schamesröte ins Gesicht treiben müsste. Es ist ein Weckruf, der weit über die Talkshow-Studios hinausreicht und den Kern der deutschen Misere trifft: Ein Staat, der sich in seinen eigenen Vorschriften verstrickt, und eine politische Führungselite, die mehr mit internen Machtkämpfen als mit der Rettung des Industriestandortes beschäftigt ist.

Besonders im Fokus steht dabei das sogenannte Tariftreuegesetz, ein Vorhaben, das Jörges schlicht als ein Monstrum bezeichnet. Es ist ein klassisches Beispiel dafür, wie gute Absichten in der Theorie in der Praxis zu einem wirtschaftlichen Albtraum mutieren können. Die Regierung rühmt sich zwar unentwegt ihrer angeblichen Erfolge beim Bürokratieabbau, doch die Realität in den Betrieben spricht eine völlig andere Sprache. Das geplante Gesetz sieht vor, dass jede Firma, die einen Staatsauftrag ab einem Wert von 50.000 Euro erhalten möchte, detailliert nachweisen muss, dass sie nach einem geltenden Tarifvertrag bezahlt. Was auf dem Papier nach sozialer Gerechtigkeit klingt, bedeutet für die Unternehmen einen enormen zusätzlichen Verwaltungsaufwand. In großen Unternehmen gelten oft mehrere verschiedene Tarifverträge gleichzeitig, was die Einreichung von Bewerbungsunterlagen zu einem bürokratischen Hindernislauf macht. Jörges stellt hier die berechtigte Frage, ob die Entscheidungsträger eigentlich den Kontakt zur wirtschaftlichen Basis völlig verloren haben. Es scheint, als hätten sich Gewerkschaftsmitglieder wie Bärbel Bas einen trockenen Traum erfüllt, ohne Rücksicht auf die Lähmungserscheinungen, die dadurch in der Wirtschaft ausgelöst werden. Dass selbst die CDU unter Friedrich Merz solche Pläne im Koalitionsvertrag unterschrieben hat, zeigt, wie sehr der Wille zur Kanzlerschaft über ökonomischen Sachverstand triumphiert hat.

Jörges geht jedoch einen entscheidenden Schritt weiter und fordert ein radikales Umdenken. Er schlägt ein fünfjähriges Moratorium vor: Fünf Jahre lang soll es keinerlei neue Belastungen für die deutsche Wirtschaft geben, weder finanzieller noch bürokratischer Art. Dieser Stopp müsste konsequenterweise auch für Regelungen gelten, die aus Brüssel kommen, wie etwa das umstrittene Lieferkettengesetz. Es ist die Forderung nach einer Schonzeit für Unternehmen, die derzeit kaum noch Luft zum Atmen haben. Der Kolumnist vergleicht die unzähligen Berichtspflichten, die über die Firmen gegossen wurden, mit Mehltau, der alles Leben und jede Innovation im Keim erstickt. Sein Vorschlag, diese Berichtspflichten einfach für fünf Jahre auszusetzen und zu prüfen, ob sie am Ende überhaupt jemand vermisst, ist so provokant wie logisch. Es wäre der einzige wahre Beitrag zu einer echten Entbürokratisierung, anstatt immer nur neue Gesetze zum Abbau alter Gesetze zu verabschieden.

Neben dem wirtschaftlichen Stillstand beobachtet Jörges auch einen tektonischen Machtwechsel innerhalb der Union. Besonders Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident, scheint seinen Zenit überschritten zu haben. Jörges spricht unumwunden davon, dass es sich ausgesödert habe. Das jüngste Wahlergebnis auf dem CSU-Parteitag von 83,6 Prozent ist für einen Mann mit Söders Ansprüchen ein Desaster. Es war ihm sichtlich anzusehen, dass er von diesem Ergebnis wie vom Donner gerührt war. Die Zeit der großen Sprüche und der inszenierten Social-Media-Auftritte scheint bei den Delegierten nicht mehr zu verfangen. Die Kritik innerhalb der CSU wächst: Söder wird vorgeworfen, er nehme die politischen Probleme nicht ernst genug und verfalle immer wieder in scherzhafte Oberflächlichkeiten, anstatt echte Führung zu zeigen. In Berlin spiele er bei den wichtigen Verhandlungen kaum noch eine Rolle, außer wenn er der Koalition noch teure Geschenke wie die Mütterrente aufpfropft.

Dieser Machtverlust Söders hat weitreichende Konsequenzen für die Nachfolgeplanung in der Union. Sollte Friedrich Merz scheitern oder abtreten, steht Söder nicht mehr als natürlicher Thronfolger bereit. Jörges sieht Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen als den kommenden Mann, sollte Merz eines Tages in die Wüste geschickt werden. Falls die CSU im nächsten Frühjahr auch noch die Kommunalwahlen in Bayern in den Sand setzen sollte, könnte die Ära Söder schneller enden, als viele heute vermuten. In der Reserve stünden dann erfahrene Kräfte wie Alexander Dobrindt oder Manfred Weber bereit, die in der Partei hohes Ansehen genießen und als ernsthafte Alternativen gelten. Es ist eine Phase der Neuordnung, in der die alten Gewissheiten nicht mehr gelten und die CSU sich fragen muss, wie sie in einer sich rasant verändernden politischen Landschaft relevant bleiben kann.

Auch außenpolitisch findet Jörges deutliche Worte für das Versagen der europäischen Führung. Er zitiert Donald Trump, der den Europäern vorwirft, sie würden zu viel reden und zu wenig liefern. Diese Analyse trifft laut Jörges den Nagel auf den Kopf, besonders im Hinblick auf den Ukraine-Konflikt. In Berlin geben sich derzeit die europäischen Staats- und Regierungschefs die Klinke in die Hand, alle wollen mitreden, doch die wirklichen Entscheidungen fallen woanders. Die Friedensverhandlungen finden faktisch nur zwischen den USA und der Ukraine statt. Jörges sieht die Einmischung der Europäer sogar als schädlich an, da sie den Prozess nur verkomplizieren, ohne einen echten eigenen Beitrag zu leisten. Ein solcher Beitrag könne nur darin bestehen, dass Europa wieder anfängt, direkt mit Wladimir Putin zu sprechen.

Es sei kein haltbarer Zustand, dass Donald Trump der einzige ist, der den Draht nach Moskau hält, während die Europäer tatenlos zusehen. Wenn Friedrich Merz den Anspruch erhebt, für Europa zu sprechen, müsse er den Mut aufbringen, selbst nach Moskau zu fliegen und Putin mit den Fakten zu konfrontieren, seien es die Drohnenflüge über Deutschland oder die hybriden Angriffe. Die Europäer müssen endlich lernen, ihre Interessen selbstständig zu vertreten, anstatt sich immer nur hinter den USA zu verstecken oder darauf zu warten, was im Weißen Haus entschieden wird. Wer als eigenständiger Akteur wahrgenommen werden will, muss auch gegenüber Russland eigenständig auftreten.

Abschließend kritisiert Jörges die mangelnde Geschwindigkeit bei notwendigen wirtschaftlichen Reformen. Die von der Regierung geplante Senkung der Unternehmenssteuern ab dem Jahr 2028 kommt seiner Meinung nach viel zu spät. Die Wirtschaft braucht jetzt Entlastung, jetzt ein klares Zeichen des Aufbruchs. Forderungen nach Steuersenkungen bereits für das Jahr 2026 sind das Mindeste, was man von einer verantwortungsvollen Wirtschaftspolitik erwarten sollte. Hans-Ulrich Jörges hat mit seiner Analyse einmal mehr bewiesen, dass er ein scharfer Beobachter ist, der sich den Mund nicht verbieten lässt. Seine Worte sind ein Plädoyer für Vernunft, für weniger Staat und mehr Vertrauen in die Kraft der Unternehmen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Botschaft in den Berliner Machtzentren Gehör findet, bevor der wirtschaftliche und politische Schaden irreversibel wird. Deutschland steht an einem Scheideweg, und die Zeit der Ausreden ist endgültig vorbei. Es braucht Mut zur Wahrheit und Entschlossenheit zum Handeln, um das Land wieder auf Kurs zu bringen. Die Analyse von Jörges ist dabei ein unverzichtbarer Kompass in stürmischen Zeiten.