Das traurige Ende der Legende: Pierre Brice und der Fluch, Winnetou zu sein

Er ritt als Inkarnation von Ehre, Mut und unerschütterlicher Loyalität durch die Traumlandschaft einer ganzen Generation. Für Millionen von Kindern, die in der Nachkriegszeit aufwuchsen, war Pierre Brice nicht bloß ein Schauspieler; er war Winnetou, der edle Häuptling der Apachen, eine unsterbliche Ikone, die Blutsbrüderschaft und Wildwest-Fantasie definierte. Sein stilles, würdevolles Auftreten auf der Leinwand machte ihn in Deutschland zu einer kulturellen Säule, einer Figur, die tief in der kollektiven Seele verankert war. Doch hinter der Legende des tapferen Indianerkriegers stand ein Mann, dessen eigenes Leben weitaus komplizierter, von echten Gefahren und dem verblassenden Ruhm einer einzigen Rolle gezeichnet war. Die letzten Jahre dieses außergewöhnlichen Mannes waren ein Ringen darum, dem Schatten seiner größten Figur zu entkommen – ein Kampf, den Pierre Brice letztendlich nie vollständig gewinnen konnte.

Ein Leben vor der Leinwand: Der wahre Held

Pierre Louis Baron de Bris, geboren im Februar, war keineswegs dazu bestimmt, auf der Leinwand zu sterben und wieder aufzuerstehen. Seine Jugend in der Hafenstadt Brest, als Sohn eines Marineoffiziers, war ruhig – bis der Zweite Weltkrieg hereinbrach. Während Bomben auf seine Heimatstadt fielen, trug der jugendliche Brice Verwundete aus den Trümmern und diente als Meldegänger für die französische Résistance. Schon bevor er das erste Mal vor einer Kamera stand, hatte er Gefahr, Chaos und wahres Heldentum erlebt.

Diese ruhelose Tapferkeit führte ihn mit nur 19 Jahren in die Kommando Marines und in den Ersten Indochinakrieg. Im Dschungel Südostasiens entkam er dem Tod nur knapp, als eine Mine, ausgelöst vom eigenen Trupp, explodierte. Er blieb nahezu unverletzt – fast so, als hätte das Schicksal Größeres mit ihm vor. Diese tiefgreifenden Erfahrungen legten das Fundament für die Stille und die Autorität, die er später als Winnetou ausstrahlte, doch sein Weg nach Hollywood war steinig.

Nach seiner Militärzeit schlug sich Brice als Model und Tänzer durch. Er suchte seinen Platz in einem im Wiederaufbau begriffenen Europa. Die Schauspielerei bot einen Ausweg, doch in Frankreich stand er im Schatten seines engen Freundes Alain Delon. Die frappierende Ähnlichkeit war ein Hindernis, keine Hilfe. Brice wusste, dass er in Paris immer nur die zweite Geige spielen würde. Also ging er fort, fand in Italien und Spanien sein Trainingsfeld, wo er in Mantel-und-Degen-Filmen und Low-Budget-Produktionen unermüdlich arbeitete.

Die Geburt der Ikone und die Schockwelle der Trauer

Der Moment, der alles veränderte, kam auf dem Berliner Filmfestival, wo der deutsche Produzent Horst Wendland auf ihn aufmerksam wurde. Wendland bot ihm die Rolle seines Lebens an: Winnetou in der Verfilmung von Karl Mays Der Schatz im Silbersee. Brice zögerte. Er kannte weder May noch die Figur und war skeptisch gegenüber der stereotypen Darstellung indigener Völker in amerikanischen Filmen, die sie stets als wehrlos zeigten. Die Rolle erschien ihm steif und wortkarg. Doch seine jugoslawische Agentin überredete ihn.

Am Set in Jugoslawien waren die Herausforderungen enorm. Brice konnte kaum reiten, und es war schwer, einer Figur ohne nennenswerten Dialog Tiefe zu verleihen. Die unerwartete Rettung kam in Form seines Filmpartners: Lex Barker, der Star und Darsteller von Old Shatterhand. Barker wurde zu seinem Lehrer, zeigte ihm, wie man reitet und mit Autorität auftritt. Brice liebte sein Kostüm und bewunderte sein Pferd, doch er befürchtete, die Rolle würde wirkungslos bleiben. Er irrte sich gewaltig.

Als der Film Premiere feierte, waren die Zuschauer wie elektrisiert. Brice’s stille Würde, sein zurückhaltender Ausdruck und die Eleganz seines Spiels erschufen einen Winnetou, den niemand je vergessen sollte. Pierre Brice hatte die Figur nicht nur gespielt; er war zu ihr geworden.

Von Anfang bis Ende der Karl May Ära verkörperte er Winnetou in elf Filmen und führte in Deutschland ein Doppelleben als unsterblicher Apachenhäuptling. Seine Popularität war grenzenlos. Die Jugendzeitschrift Bravo machte ihn zum Kultstar, zeichnete ihn zehnmal mit dem Otto-Preis aus und gestaltete die Trophäe sogar in Anlehnung an seine Figur um.

Der Höhepunkt der emotionalen Identifikation kam mit seinem Filmtod in Winnetou III. Er erschütterte Deutschland tief. Kinder weinten in den Kinos, Erwachsene schrieben empörte Briefe, und die Protestwelle war so heftig, dass die Produzenten seine Rückkehr forderten. Alarmiert von der emotionalen und finanziellen Zugkraft, kündigten sie rasch einen neuen Film an, der den Häuptling auf wundersame Weise wieder zum Leben erwecken würde. Keine andere Figur der deutschen Filmgeschichte hatte je eine solche emotionale Macht.

Hinter den Kulissen entwickelte Brice eine echte, tiefe Freundschaft zu Lex Barker, die bis zu Barkers plötzlichem Tod anhielt. Ihre filmische Blutsbrüderschaft war erstaunlich nah an der Realität. Im Gegensatz dazu war die Zusammenarbeit mit Stuart Granger, der später Old Shatterhand spielte, von kühler Distanz und professioneller Notwendigkeit geprägt.

Der Fluch der Feder und die französische Ironie

Mit dem Abflauen der Karl May-Welle stand Brice vor einem beruflichen Scheideweg. Die Rolle, die ihn zum Superstar gemacht hatte, warf nun einen langen Schatten, dem er niemals vollständig entkommen konnte. Er war gefangen im goldenen Käfig seiner eigenen Schöpfung.

Obwohl er gelegentlich in italienisch-französischen Komödien an der Seite von Größen wie Marcello Mastroianni und Sophia Loren auftrat, musste er eine bittere Realität hinnehmen: Deutsche Produzenten baten ihn selbst für leichte Fernsehrollen in Serien wie Ein Schloss am Wörthersee oft darum, das Winnetou-Kostüm zu tragen. Das Land schien den Mann vom Mythos nicht trennen zu können.

Die größte Ironie seines Lebens offenbarte sich in seiner Heimat: In Frankreich war Pierre Brice nahezu unbekannt. Abgesehen von einigen Kurzauftritten fand seine Karriere dort kaum Beachtung. Er war ein internationaler Superstar – überall, nur nicht in dem Land, in dem er geboren wurde.

Als das ZDF mit Winnetous Rückkehr eine Fernsehproduktion versuchte, um die Legende wiederzubeleben, wurde das Projekt von vielen Fans heftig kritisiert. Sie empfanden den Filmgeist der Originalreihe als verfehlt und die Figur als falsch dargestellt. Brice nahm die Enttäuschung mit Würde hin; es war ein weiteres, kompliziertes Kapitel in seiner Beziehung zu der Rolle, die ihm alles gegeben und gleichzeitig so viel genommen hatte.

Die Wiedergeburt auf der Freilichtbühne und der Kampf um die Wahrheit

Die Rettung aus der Karriere-Stagnation fand er paradoxerweise in der Rückkehr zur Figur selbst – auf der Freilichtbühne. Über viele Jahre ritt er beim Karl May Festival in Elspe in die Arena. Was wie ein Rückschritt hätte wirken können, wurde zu einer Wiedergeburt: Millionen von Zuschauern strömten nach Elspe, die meisten nur, um ihn zu sehen.

In dieser Zeit bewies Brice seine außergewöhnliche Disziplin und seinen Ehrgeiz. In den Filmen war seine Rolle von deutschen Sprechern synchronisiert worden; er sprach kein Deutsch. Doch live auf der Bühne in Elspe musste er es. Nacht für Nacht, Sommer für Sommer, paukte der Franzose seine Texte, bis sein Deutsch fließend wurde. Ein Akt der Hingabe an das Publikum und die Rolle, der ihn endgültig mit Deutschland verschmelzen ließ.

Brice nutzte seine neu gewonnene Freiheit, um das Bild der indigenen Völker zu korrigieren. Er initiierte die Fernsehserie Mein Freund Winnetou, die einen historisch genaueren, weniger romantisierten Apachenhäuptling zeigte. Er wollte die tatsächlichen historischen Kämpfe in den Vordergrund rücken. Obwohl das deutsche Publikum zunächst verhalten reagierte, blieb Brice stolz auf diesen Versuch, die Wahrheit zu erzählen.

In seinen späteren Jahren wandte er sich dem Schreiben zu. In seiner Autobiografie Winnetou und ich sprach er offen über sein Leben hinter der Legende. Das Schreiben wurde für ihn zu einer Möglichkeit, Winnetou nach seinen eigenen Vorstellungen zurückzuerobern, ihn von innen heraus zu gestalten.

Der wahre Edle und das letzte Vermächtnis

Abseits des Rampenlichts bewies Pierre Brice, dass die Tapferkeit seines Charakters kein bloßes Drehbuch war. Er war ein zutiefst privater Mensch, ein loyaler Patriot und ein leidenschaftlicher Koch, der über dreißig Jahre lang mit seiner Frau Hella, einer Deutschen aus Amberg, in einem rustikalen Jagdhaus in der Picardie lebte.

Sein humanitäres Engagement war beispiellos. Als UNICEF-Botschafter setzte er sich für Kinder ein, aber seine wohl mutigste Tat vollzog er während Bosnien noch vom Krieg gezeichnet war: Brice führte persönlich einen humanitären Hilfskonvoi durch teilweise umkämpftes Gebiet. Es war eine Tat, die jene Tapferkeit widerspiegelte, die seine Fans in Winnetou sahen – nur, dass es diesmal keine Rolle war. Für seinen Einsatz erhielt er das Bundesverdienstkreuz erster Klasse und später den Ritterorden der Ehrenlegion.

Zudem engagierte er sich leidenschaftlich für den Tierschutz, insbesondere in Rumänien, wo er sich für streunende Hunde und den Schutz der Braunbären einsetzte.

Das Ende kam so plötzlich, wie es nur selten für eine solche Legende erwartet wird. An einem Abend wurde Pierre Brice mit hohem Fieber in ein Pariser Krankenhaus eingeliefert. Die Diagnose: schwere Lungenentzündung. Am Morgen darauf verstarb der Mann, der Winnetou verkörpert hatte, im Alter von 86 Jahren.

Deutschland trauerte, als hätte es einen Teil seiner kulturellen Seele verloren. Bezeichnenderweise fand er seine letzte Ruhe nicht in seiner französischen Heimat, sondern auf dem Gemeindefriedhof von Gräfelfing, im Münchner Umland. Sein Grab, still und würdevoll, bleibt für immer verbunden mit dem Land, das ihn zu seinem Helden gemacht hat.

Die Geschichte von Pierre Brice ist die eines Mannes, der sein ganzes Leben lang von einer Rolle verfolgt wurde. Er war der edle Häuptling in Lederhose, der aristokratische französische Baron, der furchtlose Soldat und der mitfühlende Humanist. Er trug den Fluch seiner größten Schöpfung, doch er nutzte ihn, um Gutes zu tun und die Welt ein kleines Stück besser zu machen. Sein Vermächtnis ist nicht nur die Leinwandfigur, sondern die stille Würde und der Mut, mit denen er dem unentrinnbaren Schatten Winnetous begegnete.