In der Welt der Diplomatie und der internationalen Hilfe wird oft mit Pathos und moralischer Überlegenheit argumentiert. Es geht um Freiheit, Demokratie und die Verteidigung westlicher Werte. Doch hinter der glänzenden Fassade der Solidarität verbirgt sich eine knallharte ökonomische Realität, die in Berlin dieser Tage für zunehmende Unruhe sorgt. Während die Bundesrepublik Deutschland als zweitgrößter Geldgeber der Ukraine auftritt, stellt sich eine Frage immer lauter: Was haben wir eigentlich davon?

Diese Woche rückte ein Mann ins Rampenlicht, der normalerweise eher im Hintergrund die Fäden zieht. Michael Harms, Geschäftsführer des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, ist kein Mann der lauten Töne oder politischer Feuerwerke. Doch beim Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftsforum in Berlin fand er deutliche Worte für eine Situation, die viele deutsche Unternehmer frustriert. Harms forderte, dass die deutsche Wirtschaft am Wiederaufbau der Ukraine stärker partizipieren müsse. Eine Forderung, die in manchen Ohren wie ein Tabubruch klingen mag, aber bei genauerer Betrachtung eine längst überfällige Debatte über nationale Interessen anstößt.

Die 100-Milliarden-Frage

Die nackten Zahlen sind atemberaubend. Deutschland unterstützt die Ukraine in einem Ausmaß, das kein anderes europäisches Land erreicht. Doch wer versucht, die exakte Summe der bisherigen Leistungen zu beziffern, stößt auf ein Dickicht aus Statistiken und Schätzungen. Bisherige Zusagen für militärische Zwecke belaufen sich auf rund 40 Milliarden Euro. Hinzu kommen etwa 44 Milliarden Euro für zivilgesellschaftliche und humanitäre Hilfe.

Ein oft übersehener, aber gewaltiger Posten ist die Unterstützung der über 1,3 Millionen ukrainischen Geflüchteten in Deutschland. Allein das Bürgergeld für diese Personengruppe schlug im Jahr 2024 mit 6,3 Milliarden Euro zu Buche – die Kosten für Unterkunft, Heizung und Bildung nicht eingerechnet. Rechnet man alle Posten zusammen, überschreitet die deutsche Unterstützung längst die 100-Milliarden-Euro-Grenze. Zum Vergleich: In keinem anderen Land ist die soziale Absicherung für ukrainische Staatsbürger so umfassend wie in der Bundesrepublik.

Andere machen das Geschäft, Deutschland zahlt die Rechnung

Während Deutschland also die humanitäre und militärische Last schultert, scheinen andere Nationen bereits die Weichen für die Zeit nach dem Krieg zu stellen – und zwar zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Vorteil. Ein prominentes Beispiel ist der künftige US-Präsident Donald Trump. Bereits im April schloss er einen Rohstoff-Deal mit der Regierung in Kiew ab. Die einfache Formel: Waffenlieferungen gegen den Zugriff auf seltene Erden und wertvolle Rohstoffe.

In Deutschland hingegen scheint man sich fast zu schämen, ökonomische Eigeninteressen zu formulieren. Die Folge ist paradox: Obwohl Deutschland Milliarden investiert, kauft die Ukraine viele Güter und Dienstleistungen lieber in der Türkei, in Indien oder sogar in China ein. Der Grund ist so simpel wie frustrierend für hiesige Unternehmen: Bei den Ausschreibungen zählt oft nur der niedrigste Preis, nicht die Herkunft der Mittel, die den Kauf überhaupt erst ermöglichen.

Zwischen Korruption und High-Tech-Wünschen

Die Debatte wird zusätzlich durch die fordernde Haltung der ukrainischen Führung angeheizt. In einem viel beachteten TV-Interview bei Markus Lanz forderte Präsident Wolodymyr Selenskyj erneut offensiv die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Doch Kritiker fragen sich: Warum sollten wir unsere sensibelste Militärtechnologie in ein Land schicken, das nach wie vor mit massiven Korruptionsproblemen zu kämpfen hat? Die Sorge, dass High-Tech-Waffen am Ende auf dem Schwarzmarkt oder in den falschen Händen landen könnten, ist nicht von der Hand zu weisen.

Forderung nach Fairness: Zuerst Deutschland und die EU

Innerhalb der deutschen Wirtschaft formiert sich nun Widerstand gegen die aktuelle Praxis. Führende Köpfe aus Schwergewichten wie Linde, BASF, Siemens und der Deutschen Bank unterstützen die Forderung nach mehr “Gegengeschäften”. Auch Tim Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie, wird deutlich: Deutschland und die EU müssen bei künftigen Aufträgen zuerst bedacht werden.

Es geht dabei nicht um eine Verweigerung von Hilfe, sondern um Fairness und Nachhaltigkeit. Wenn der deutsche Steuerzahler die Last der Unterstützung trägt, ist es nur legitim, dass die deutschen Unternehmen und Arbeitnehmer beim Wiederaufbau – einem der größten Infrastrukturprojekte der kommenden Jahrzehnte – an vorderster Front stehen.

Die Zeit der bedingungslosen Schecks scheint abzulaufen. Die Debatte, die Michael Harms angestoßen hat, markiert einen Wendepunkt in der deutschen Ukraine-Politik. Weg von einer rein moralisch getriebenen Unterstützung hin zu einer Realpolitik, die die eigenen wirtschaftlichen Interessen nicht länger verleugnet. Es ist ein notwendiger Schritt, um die Akzeptanz der Hilfe in der eigenen Bevölkerung langfristig zu sichern. Denn Solidarität ist wichtig, aber sie darf keine Einbahnstraße bleiben, die am Ende die eigene wirtschaftliche Basis schwächt, während andere die Früchte der Investitionen ernten.