Berlin bebt, und das politische Parkett in der Hauptstadt gleicht derzeit einem Minenfeld. Was sich in diesen Tagen hinter den verschlossenen Türen des Reichstags abspielt, könnte manchen Wähler endgültig den Glauben an die Integrität unserer Volksvertreter kosten. Ein brisanter Leak, der direkt aus den Fluren der Macht zu uns dringt, zeichnet das Bild eines beispiellosen Manövers. Es geht um nicht weniger als die Zukunft unserer Rente, die Glaubwürdigkeit der CDU und einen Friedrich Merz, der offenbar bereit ist, zu extremen Mitteln zu greifen, um seinen Willen durchzusetzen.

Das Gespenst des „Klo-Deals“

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Man muss sich die Situation auf der Zunge zergehen lassen: In der Unionsfraktion kursiert ein Szenario, das so absurd klingt, dass man es eher in einer Satire-Show vermuten würde als im Hohen Haus. Doch die Quellen sind ernstzunehmen, und die „Bild“ berichtete bereits über das, was intern als möglicher Rettungsanker für die angeschlagene Koalition aus Union und SPD gehandelt wird. Es ist der sogenannte „Klo-Deal“.

Worum geht es dabei? Die Ausgangslage ist prekär. Die geplante „Superkoalition“ – oder das, was davon im aktuellen Abstimmungsverhalten übrig ist – verfügt im Bundestag über eine denkbar knappe Mehrheit von gerade einmal 12 Stimmen. Doch diese Mehrheit wackelt gewaltig. Mindestens 18 Rebellen aus der eigenen Fraktion, vor allem aus der „Jungen Gruppe“, haben angekündigt, dem Rentenpaket in seiner jetzigen Form nicht zuzustimmen. Rein rechnerisch wäre das Projekt damit tot. Merz und die SPD wären gescheitert. Eine Blamage von historischem Ausmaß.

Doch hier kommt der Trick ins Spiel, der an dunkelste parlamentarische Winkelzüge erinnert. Das Zauberwort heißt: Präsenzquorum. Die Mehrheit, die für einen Beschluss nötig ist, hängt entscheidend von der Zahl der abgegebenen Stimmen ab. Wenn man die Zahl der anwesenden Abgeordneten drückt – sei es durch Krankheit, „dringende Termine“ oder eben den sprichwörtlichen Gang zur Toilette –, sinkt die Hürde für die nötige Mehrheit.

Mathematik statt Moral

Lassen Sie uns das Rechenspiel durchgehen, das derzeit die Köpfe der Strategen in Berlin rauchen lässt. Der Bundestag hat 733 Sitze (aktuell variierend je nach Mandatslage). Normalerweise bräuchte man für die Kanzlermehrheit oder wichtige Gesetze die absolute Mehrheit aller Mitglieder. Doch bei einfachen Gesetzen reicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

Das Szenario, das nun durchgespielt wird, ist perfide: Was, wenn nächste Woche, wenn es hart auf hart kommt, plötzlich eine Grippewelle durch die Reihen der Opposition fegt? Nehmen wir an, 30 Parlamentarier von AfD, Grünen und der Linkspartei wären „leider verhindert“. Die Zahl der Abstimmenden würde auf etwa 600 sinken. Plötzlich bräuchte man nur noch 301 Ja-Stimmen für den Sieg. Selbst wenn die 18 Rebellen der Union mit „Nein“ stimmen, könnten die verbleibenden Stimmen von Union und SPD (zusammen ca. 310 in diesem Szenario) ausreichen.

Das Rentenpaket wäre beschlossen – nicht durch Überzeugung, nicht durch eine echte politische Mehrheit im Volke, sondern durch statistische Manipulation und die Abwesenheit der Gegner.

Erinnerungen an Thüringen

Generaldebatte im Bundestag: AfD-Chefin Weidel greift Merz scharf an – der  Kanzler wirft ihr „üble Nachrede“ vor

Politische Beobachter fühlen sich bei diesen Gedankenspielen unweigerlich an Thüringen erinnert. Damals war es Bodo Ramelow, dem Pläne nachgesagt wurden, durch ähnliche Mechanismen Mehrheiten zu sichern. Der „Klo-Deal“ ist also kein neues, aber ein in seiner Dreistigkeit immer wieder schockierendes Instrument. Es ist das adäquate Mittel für diejenigen, die keine echten Argumente mehr haben, sondern nur noch Machtarithmetik betreiben.

Man stelle sich vor: Ein Abgeordneter, der nach der Abstimmung vor die Kameras tritt und sagt: „Huch, ich musste so dringend mal, da habe ich die Abstimmung über die Zukunft von Millionen Rentnern verpasst.“ Das klingt wie ein schlechter Scherz, ist aber eine realistische Option im Werkzeugkasten der Machtpolitiker.

„Sozialer Sprengsatz“: Der interne Kampf der CDU

Während Merz in Berlin die Reihen schließen will, tobt in den Ländern der Kampf um die Deutungshoheit. Michael Kretschmer, Sachsens Ministerpräsident und ein Schwergewicht in der CDU, stellt sich demonstrativ gegen die Kritiker aus der eigenen Partei. Auf dem Parteitag in Leipzig warnte er eindringlich vor einem Scheitern des Rentenpakets. Seine Wortwahl war drastisch: Er sprach von einem „sozialen Sprengsatz“.

„Es ist nicht vermittelbar, dass von einem Monat auf den anderen das Rentenniveau sinkt und Rentner 50, 60 oder 100 Euro weniger haben“, donnerte Kretschmer vor den Delegierten. Das ist natürlich ein valides Argument, das auf die Ängste vieler älterer Wähler zielt. Doch es übergeht völlig die Bedenken der jüngeren Generation, die diese Renten bezahlen muss. Die „Junge Gruppe“ warnt vor der Unbezahlbarkeit des Systems. Doch für Kretschmer und Merz scheint das Motto zu lauten: Augen zu und durch.

Kritiker fragen zu Recht: Wäre es nicht sinnvoller, über Einsparungen an anderer Stelle nachzudenken, statt ein System zu zementieren, das auf tönernen Füßen steht? Die 120 Milliarden Euro Mehrkosten, die im Raum stehen, müssen irgendwo herkommen. Doch solche Debatten stören nur, wenn man regieren will.

Friedrich Merz: Ein Kanzler im Wort?

Besonders pikant ist die Rolle von Friedrich Merz selbst. Er hat sein persönliches Schicksal offenbar eng an dieses Gesetz geknüpft. Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union, der eigentlich eine Diskussionsplattform sein sollte, trat er weniger als Zuhörer denn als Befehlshaber auf. Die Botschaft war klar: Es gibt keine Diskussion. Das Paket kommt.

Merz argumentiert, er habe der SPD sein „persönliches Wort“ gegeben. Er will Verlässlichkeit demonstrieren, wohl auch mit Blick auf seine Ambitionen auf das Kanzleramt. Ein Scheitern des Rentenpakets wäre ein Scheitern seiner Führungskraft. Er hat dem SPD-Chef Lars Klingbeil quasi in die Hand versprochen: „Ich kriege meinen Laden schon in den Griff.“ Ein Einknicken jetzt wäre ein Gesichtsverlust, den er sich nicht leisten will.

Doch zu welchem Preis? Wenn die einzige Möglichkeit, das Wort zu halten, darin besteht, auf die Toilettenpausen der Opposition zu hoffen, dann ist das politische Bankrott.

Die Rolle der Jungen Union: Helden oder Umfaller?

Alle Augen richten sich nun auf die „Junge Gruppe“ und die Junge Union. Sie haben sich weit aus dem Fenster gelehnt, haben Reformen gefordert und den Generationenvertrag angemahnt. Wenn sie in der kommenden Woche doch zustimmen – sei es unter Druck, sei es durch faule Kompromisse oder indem sie sich einfach enthalten –, dann wäre das ein verheerendes Signal.

Sie wären, wie es Kritiker formulieren, „die unglaubwürdigsten Politiker, die wir jemals in diesem Land gesehen haben“. Es wäre der Beweis, dass am Ende doch nur die Parteidisziplin zählt und nicht das Gewissen oder die Verantwortung für die Zukunft.

Ein abgekartetes Spiel?

Das Ganze hat einen bitteren Beigeschmack. Bärbel Bas, die Bundestagspräsidentin, spricht bereits von einem „klugen Kompromiss“, der gefunden sei. Das klingt so, als sei alles längst in trockenen Tüchern, während die Öffentlichkeit noch glaubt, es werde gerungen. Werden wir Zeugen einer Inszenierung?

Es ist schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, dass hier über die Köpfe der Bürger hinweg Politik gemacht wird. Die Methoden – vom „Klo-Deal“ bis zum Fraktionszwang – wirken wie aus der Zeit gefallen in einer Demokratie, die eigentlich auf Transparenz und Diskurs setzen sollte.

Fazit: Eine Woche der Entscheidung

Deutscher Bundestag - Fragen an die Bundestagspräsidentin: Warum sitzen oft  so wenige Abgeordnete im Plenarsaal?

Die kommende Woche wird zeigen, aus welchem Holz unsere Volksvertreter geschnitzt sind. Wird der Bundestag zur Bühne eines unwürdigen Schauspiels, bei dem die Anwesenheitslisten wichtiger sind als die Argumente? Wenn das Rentenpaket durchkommt, weil ein paar Abgeordnete „zufällig“ nicht im Saal sind, dann ist das ein Sieg für die Taktik, aber eine Niederlage für die Demokratie.

Es bleibt die Hoffnung, dass es in allen Fraktionen noch Abgeordnete gibt, die dieses Spiel nicht mitmachen. Denn am Ende geht es nicht um Merz, nicht um Klingbeil und nicht um Kretschmer. Es geht um das Vertrauen der Menschen in ihre Institutionen. Und dieses Vertrauen ist ein zartes Pflänzchen, das man nicht auf dem Weg zur Toilette zertreten sollte. Wir dürfen gespannt sein – und sollten sehr genau hinschauen, wer nächste Woche auf seinem Platz sitzt und wer nicht.