Es gibt Momente im deutschen Fernsehen, die man so schnell nicht vergisst. Meistens sind es Augenblicke großer Emotionen, triumphaler Siege oder rührender Abschiede. Doch der Abend des 13. Dezember wird aus einem ganz anderen Grund im kollektiven Gedächtnis bleiben: Als der Moment, in dem ein Sender den Kontakt zu seinem Publikum und den Respekt vor seinen eigenen Legenden verlor. Was als unterhaltsamer Samstagabend bei “Denn sie wissen nicht, was passiert” geplant war, endete in einem Fiasko, das die sozialen Medien zum Glühen brachte und Millionen treue Fans fassungslos zurückließ.

Der Hintergrund könnte tragischer nicht sein. Während die Show über die Bildschirme flimmerte, kämpft der eigentliche “Pate” der Sendung, Thomas Gottschalk, laut aktuellen Berichten seinen wohl schwersten privaten Kampf – den gegen den Krebs. Eine Diagnose, die das Land erschütterte und die Fans in eine Art vorweggenommene Trauer versetzte. Wer an diesem Abend einschaltete, suchte vielleicht Ablenkung, aber vor allem suchte er nach dem vertrauten Gefühl von “Wetten, dass..?”-Nostalgie, nach dem Geist der alten Schule, den Gottschalk wie kein Zweiter verkörpert. Doch was RTL servierte, war kein Trostpflaster. Es war ein Schlag in die Magengrube.

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Lautstärke statt Klasse: Der Absturz des Niveaus

Schon Minuten nach Beginn der Sendung war klar: Das hier ist nicht mehr das Wohnzimmer von Günther Jauch und Thomas Gottschalk. Das Studio, einst ein Ort für feinen Wortwitz und spontane Situationskomik zwischen alten Freunden, verwandelte sich in eine Arena der Hysterie. Anstelle der entspannten Souveränität traten Jana Ina Zarrella und die Ehrlich Brothers auf den Plan. Was folgte, beschreiben Kritiker und Zuschauer gleichermaßen als “akustischen Frontalangriff”.

Jana Inas dauerhaftes Schreien ins Mikrofon und die überdrehte Animationskunst der Ehrlich Brothers wirkten wie Fremdkörper in einem Format, das eigentlich von seiner Lässigkeit lebt. “Wie eine überzuckerte Schlagershow auf dem Jahrmarkt”, kommentierte ein entsetzter Zuschauer auf der Plattform X. Der Kontrast zur “alten Garde” hätte schmerzhafter nicht sein können. Wo früher ein einziger Blick zwischen Jauch und Gottschalk reichte, um Deutschland zum Lachen zu bringen, herrschte nun gehetztes Chaos. Die Eleganz war verschwunden, ersetzt durch bloßen Lärm.

Michelle Hunziker: Der fatale Satz

Doch Lärm kann man leiser stellen. Respektlosigkeit nicht. Der eigentliche Dolchstoß für die Show kam von der Frau, die eigentlich als Retterin und Brückenbauerin fungieren sollte: Michelle Hunziker. Als ehemalige Weggefährtin von Gottschalk ruhten große Hoffnungen auf ihr. Sie sollte den Glamour und die Professionalität zurückbringen. Doch ein Interview kurz vor der Sendung entpuppte sich als Bumerang.

Gegenüber der “Bild”-Zeitung gab Hunziker offen zu, dass sie in Italien lebe und den deutschen Zeitgeist kaum mitbekomme. Schlimmer noch: Sie bezeichnete die Show als “Kindergeburtstag für Erwachsene”. Was vielleicht charmant gemeint war, empfanden die Zuschauer als intellektuelle Bankrotterklärung. Das Publikum von “Denn sie wissen nicht, was passiert” schätzt den scharfen Verstand eines Günther Jauch. Wenn die Moderatorin das Format nun zur infantilen Party degradiert, sagt sie damit indirekt: “Ich nehme euch und euren Anspruch nicht ernst.” Michelle wirkte plötzlich nicht mehr wie die charmante Gastgeberin, sondern wie ein glamouröser Gast, der sich auf die falsche Party verirrt hat und die Sprache der Einheimischen nicht spricht.

Thomas Gottschalk vor 70. Geburtstag: "Ich habe alles gemacht, was sich mir  in den Weg gestellt hat" - DER SPIEGEL

Tanz auf dem Vulkan: Die emotionale Kälte von RTL

Der schwerwiegendste Vorwurf, den sich RTL gefallen lassen muss, wiegt jedoch schwerer als handwerkliche Fehler. Es ist der Vorwurf der emotionalen Taubheit. Einen Mann wie Thomas Gottschalk, der laut Video um sein Leben kämpft, durch eine bunte Zaubershow und Party-Gekreische zu ersetzen, zeugt von einem erschreckenden Mangel an Fingerspitzengefühl. “Es fühlte sich an, als würde man auf einer Beerdigung Discomusik auflegen”, fasste ein Fan die Stimmung zusammen.

In einer Zeit, in der das Publikum kollektiv um eine Ikone bangt, hätte es Würde gebraucht. Vielleicht eine ruhigere Sendung, vielleicht eine Hommage. Aber sicher keine Ehrlich Brothers, die “künstlich gute Laune” verbreiten, während das mentale Bild des leidenden Gottschalk in den Köpfen der Menschen präsent ist. Diese Dissonanz zwischen der ernsten Realität und der grellen TV-Inszenierung wirkte obszön. RTL hat das Band zum Publikum zerschnitten, weil der Sender nicht verstand, dass Gottschalk für viele nicht nur ein Moderator, sondern ein Stück Familie ist. Und Familie ersetzt man nicht einfach durch Animateure.

Das Ende einer Ära?

Der Morgen danach gleicht einem Trümmerfeld. Die Kritiken sind vernichtend, die Quoten enttäuschend, der Shitstorm gewaltig. RTL hat sich in eine Sackgasse manövriert. Ein “Weiter so” scheint unmöglich. Ohne Gottschalk fehlt das Herz, und ob Günther Jauch ohne seinen besten Freund weitermachen will – oder kann – steht in den Sternen.

Biografie: Thomas Gottschalk: ZDF-Presseportal

Im Netz kursieren bereits düstere Theorien: War dieser Stilbruch vielleicht Absicht? Ein letzter lauter Knall, um noch einmal Aufmerksamkeit zu generieren, bevor man das Format beerdigt? Es wirkt fast so, als hätten wir gestern Abend live dabei zugesehen, wie eine der letzten großen Lagerfeuer-Sendungen des deutschen Fernsehens ihren Todesstoß erhielt. Nicht, weil die Künstler kein Talent hätten, sondern weil die Macher vergaßen, was Fernsehen im Kern ausmacht: Emotionale Verbindung. Thomas Gottschalk ist unersetzbar. Das hat dieser Abend schmerzhaft bewiesen. Und vielleicht wäre es besser, wenn das Licht im Studio ausgeht, solange wir uns noch an die guten alten Zeiten erinnern können, statt zuzusehen, wie das Erbe im Lärm eines “Kindergeburtstags” untergeht.