In einer Woche, die politisch und wirtschaftlich kaum turbulenter hätte sein können, hat der Verband der Familienunternehmer für Schlagzeilen gesorgt, die weit über das übliche politische Geplänkel hinausgehen. Was als Versuch eines demokratischen Dialogs begann, endete in einem PR-Desaster und einer Kehrtwende, die Kritiker als symbolischen Kniefall vor dem politischen Druck interpretieren. Die Entscheidung des Verbands, geplante Gespräche mit Vertretern der Alternative für Deutschland (AfD) nicht nur abzusagen, sondern die ursprüngliche Einladung im Nachhinein als „Fehler“ zu brandmarken, wirft ein grelles Schlaglicht auf den Zustand der Debattenkultur in der Bundesrepublik.

Der chronologische Ablauf eines Rückziehers

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Noch vor wenigen Tagen schien der Verband der Familienunternehmer, der rund 6.500 Mitgliedsunternehmen vertritt, einen pragmatischen Kurs einschlagen zu wollen. In einer Zeit, in der die deutsche Wirtschaft vor existenziellen Herausforderungen steht, signalisierte man Offenheit. Man wollte reden – auch mit der AfD. Es fanden bereits erste Treffen statt, die nach Berichten durchaus als produktiver Austausch wahrgenommen wurden. Doch die mediale und interne Reaktion ließ nicht lange auf sich warten.

Das Fass zum Überlaufen brachte offenbar der spektakuläre Austritt von Dirk Rossmann. Der Drogerie-Milliardär, eine der prominentesten Stimmen der deutschen Wirtschaft, kehrte dem Verband demonstrativ den Rücken. Was folgte, war keine souveräne Verteidigung des Dialogs, sondern eine panikartige Fluchtbewegung. Die Verbandsspitze, angeführt von Marie-Christine Ostermann, vollzog eine 180-Grad-Wende.

Die offizielle Begründung: Einladung als „Erziehungsmaßnahme“?

Besonders bemerkenswert – und für viele Beobachter wenig glaubwürdig – ist die Begründung, die nun für die ursprüngliche Einladung nachgeschoben wurde. Ostermann wird mit den Worten zitiert, die Einladung habe sich als Fehler erwiesen, da das Gegenteil von dem passiert sei, was man beabsichtigt habe. Man habe die AfD-Abgeordneten eingeladen, um ihnen ins Gewissen zu reden und ihnen klarzumachen, dass ihr Parteiprogramm „wirtschaftsfeindlich“ sei und dem Standort Deutschland schade.

Diese Argumentation wirft Fragen auf. Lädt ein Wirtschaftsverband üblicherweise Politiker ein, um sie zu belehren? Oder dient ein solcher Austausch nicht vielmehr dazu, Positionen abzugleichen und im Interesse der Unternehmen Lobbyarbeit zu betreiben? Die Darstellung, man habe quasi eine pädagogische Veranstaltung geplant, wirkt auf viele wie der verzweifelte Versuch, das eigene Gesicht zu wahren und sich wieder in den Schoß des politisch korrekten Mainstreams zu flüchten.

Wirtschaftsfeindlichkeit: Ein Realitätscheck

Der zentrale Vorwurf des Verbands, das Programm der AfD sei per se wirtschaftsfeindlich, bedarf einer nüchternen Analyse, die in der aktuellen emotionalen Debatte oft zu kurz kommt. Kritiker dieser These, wie der Finanzexperte und YouTuber „Oli investiert“, weisen berechtigterweise darauf hin, dass die aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland nicht von der Opposition, sondern von den regierenden Parteien der letzten Jahrzehnte geschaffen wurden.

Ein Blick auf die nackten Zahlen offenbart ein düsteres Bild, für das die AfD kaum verantwortlich gemacht werden kann: Deutschland hält die unrühmliche Spitzenposition bei Steuern und Abgaben im internationalen Vergleich. Die Energiekosten treiben Unternehmen reihenweise ins Ausland oder in die Insolvenz. Die Bürokratie hat ein Ausmaß angenommen, das Investitionen nicht nur hemmt, sondern oft unmöglich macht.

Wenn man über „Schaden für den Standort Deutschland“ spricht, muss man auch über das Rentenniveau sprechen. Während niederländische Rentner sich über ein Niveau von fast 96 Prozent freuen können, werden deutsche Senioren mit 53 Prozent abgespeist – und das bei einem der höchsten Abgabensätze weltweit. Auch das Bürgergeld setzt laut Kritikern massive Fehlanreize. Wenn der Unterschied zwischen harter Vollzeitarbeit im Niedriglohnsektor und dem Bezug von Sozialleistungen auf wenige hundert Euro zusammenschmilzt, zerstört dies die Arbeitsmoral und damit das Fundament der Wirtschaft. All diese Probleme sind hausgemacht, Ergebnis der Politik der etablierten Parteien, nicht einer Oppositionspartei, die weder im Bund noch in den Ländern Regierungsverantwortung trägt.

Demokratie und Ausgrenzung: Die Brandmauer wackelt

Die Verbandspräsidentin Marie-Christine Ostermann im Industrie-Club

Der Vorgang beim Verband der Familienunternehmer ist symptomatisch für einen tieferen Konflikt in der deutschen Gesellschaft. Wie geht man mit einer Partei um, die je nach Bundesland von bis zu einem Drittel der Wähler favorisiert wird? Die Strategie der „Brandmauer“, der kompletten politischen Isolation und des Kontaktverbots, stößt zunehmend an ihre Grenzen.

Aus demokratischer Sicht ist der Ausschluss von gewählten Repräsentanten eines erheblichen Teils der Bevölkerung problematisch. Ein Wirtschaftsverband, der die Interessen seiner Mitglieder vertreten will, müsste eigentlich mit allen relevanten politischen Kräften im Gespräch bleiben. Dass nun ausgerechnet ein Unternehmerverband dem Druck nachgibt und den Dialog verweigert, wird von vielen als Zeichen der Schwäche gewertet. Es suggeriert, dass die Angst vor medialer Ächtung größer ist als der Wille zur konstruktiven Auseinandersetzung.

Die Rolle des politischen Drucks

Es darf spekuliert werden, welcher Druck hinter den Kulissen auf die Verbandsspitze ausgeübt wurde. In Berlin ist es ein offenes Geheimnis, dass die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP sehr empfindlich auf jede Form der Normalisierung im Umgang mit der AfD reagiert. Verbände, die auf das Wohlwollen der Politik angewiesen sind, bewegen sich auf dünnem Eis.

Der Fall Rossmann zeigt zudem, wie schnell die moralische Integrität eines ganzen Verbands in Frage gestellt wird, sobald einzelne Akteure die „Kontaktschuld“ ins Spiel bringen. Es entsteht eine Atmosphäre, in der sachliche Diskussionen über Inhalte – wie Steuererleichterungen, Bürokratieabbau oder Energiepolitik – unmöglich werden, weil sie sofort von der „Haltungsfrage“ überlagert werden.

Ein fatales Signal für den Mittelstand

Für den deutschen Mittelstand, das Rückgrat der Wirtschaft, ist dieser Vorgang mehr als nur eine Posse. Er ist ein Alarmzeichen. Wenn Verbände nicht mehr in der Lage sind, unbefangen Interessenpolitik zu betreiben, sondern sich primär an gesellschaftspolitischen Vorgaben orientieren müssen, verlieren sie ihren eigentlichen Zweck.

Die Mitglieder des Verbands sind keine homogene Masse. Viele Unternehmer sehen die aktuelle Wirtschaftspolitik der Ampel-Koalition als existenzbedrohend an. Sie fordern genau das, was die AfD in Teilen ihres Programms verspricht: massive steuerliche Entlastungen, eine Rückbesinnung auf nationale Interessen in der Energiepolitik und ein Ende der überbordenden EU-Regulierung. Dass ihr eigener Verband nun den Botschafter dieser Forderungen ausgrenzt, dürfte bei vielen Mitgliedern für Unverständnis und Frustration sorgen.

Fazit: Dialog statt Dogma

AfD-Chefin Alice Weidel im Bundestag: Sprechen wie in Sütterlin - DER  SPIEGEL

Der Rückzieher der Familienunternehmer wird in die Geschichte eingehen als ein Lehrstück über den Zustand der politischen Kultur in Deutschland im Jahr 2025. Er zeigt, wie eng die Grenzen des Sagbaren und des Machbaren geworden sind. Doch Probleme lassen sich nicht durch Schweigen lösen. Eine Demokratie muss den Streit aushalten, sie muss unterschiedliche Positionen zulassen und darf den Dialog nicht verweigern – schon gar nicht aus Angst.

Die Entscheidung, die Gespräche abzusagen und als Fehler zu bezeichnen, mag kurzfristig für Ruhe an der Medienfront sorgen. Langfristig jedoch vertieft sie die Gräben im Land und lässt einen großen Teil der Wählerschaft und der Unternehmerschaft ratlos zurück. Es bleibt abzuwarten, ob andere Verbände – wie die Bäcker oder die Landwirte, die sich bisher standhafter zeigten – diesem Beispiel folgen werden oder ob sie den Mut aufbringen, den notwendigen Diskurs offen zu führen. Denn am Ende zählt für den Standort Deutschland nur eines: Ergebnisse, die Wohlstand und Arbeitsplätze sichern. Und diese erreicht man selten durch das Bauen von Mauern.