Er war das Gesicht, das Herz und oft auch die tragische Figur von Borussia Dortmund. Marco Reus, der „Captain“, der trotz lukrativer Angebote und verlockender Titelchancen immer blieb. Doch hinter dem Bild des unverwüstlichen Vereinsidols verbirgt sich eine Seele voller Narben. Mit 35 Jahren, an einem Punkt, an dem viele Bilanz ziehen, hat Marco Reus nun sein Schweigen gebrochen. In einer offenen und schmerzhaften Abrechnung nennt er fünf Namen – fünf Weggefährten, die ihn nicht nur sportlich, sondern vor allem menschlich zutiefst enttäuscht haben. Was er erzählt, wirft ein düsteres Licht auf die glitzernde Welt des Profifußballs und zeigt, wie einsam es an der Spitze wirklich ist.

Platz 5: Thomas Tuchel – Der kalte Technokrat

Die Zusammenarbeit begann als Versprechen an die Zukunft. Thomas Tuchel, das Taktik-Genie, und Marco Reus, der geniale Vollstrecker. Doch was wie eine perfekte Symbiose aussah, entpuppte sich für Reus schnell als goldenes Gefängnis. Tuchel, so berichtet Reus heute, sah in Spielern oft eher Schachfiguren als Menschen.

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Besonders eine Erinnerung hat sich tief in das Gedächtnis des Offensivstars eingebrannt. Es war eines der wichtigsten Spiele der Saison, die Anspannung war greifbar. Ohne Vorwarnung, ohne ein einziges Wort der Erklärung, nahm Tuchel seinen Kapitän viel zu früh vom Feld. In den Katakompen des Stadions, fernab der Kameras, brach es aus Reus heraus. Leise, aber voller Bitterkeit flüsterte er: „So behandelt man keinen Kapitän.“

Es war nicht die Auswechslung an sich, die schmerzte. Es war die Art und Weise. Tuchel drängte Reus in Rollen, die ihm widerstrebten, und vermittelte ihm das Gefühl, ihm nicht zu vertrauen. Die Kommunikation war steril, die Wertschätzung fehlte. Für einen Gefühlsmenschen wie Reus, der Vertrauen braucht, um zu glänzen, war Tuchels Ära eine Zeit der emotionalen Erfrierung.

Platz 4: Lucien Favre – Der gefallene Mentor

Noch schmerzhafter ist der Blick auf Platz 4. Lucien Favre war nicht irgendein Trainer für Reus – er war der Mann, der ihn in Mönchengladbach zum Superstar geformt hatte. Als Favre 2018 nach Dortmund kam, hofften alle auf eine Renaissance dieser magischen Verbindung. Doch die Realität war ein schleichendes Gift.

Aus dem einstigen Förderer wurde ein Zweifler. Favre zwang Reus in taktische Korsetts – mal als hängende Spitze, mal fast als Sechser – weit entfernt von jenen Zonen, in denen Reus seine tödliche Intuition ausspielen konnte. Doch der wahre Bruch geschah abseits des Rasens. Zeugen berichten von einer Szene nach einem schwachen Spiel, in der Favre seinen einstigen Lieblingsschüler vor versammelter Mannschaft demontierte. Nicht laut, nicht cholerisch, sondern mit jener sachlichen Kälte, die tiefer schneidet als jedes Gebrüll.

Als Dortmund in der entscheidenden Phase die Meisterschaft verspielte, fühlte sich Reus von seinem Mentor im Stich gelassen. Wo früher blinder Glaube war, herrschte nun Distanz. Favre verstand Reus nicht mehr, und Reus erkannte seinen Mentor nicht wieder. Es war der Verlust einer Vaterfigur.

Platz 3: Mats Hummels – Der Kritiker aus den eigenen Reihen

Wenn der Feind im eigenen Lager sitzt, wiegt die Last doppelt schwer. Mats Hummels und Marco Reus – nach außen hin führten sie den BVB gemeinsam. Doch intern tobte ein Kampf der Führungsstile. Hummels, eloquent und oft schonungslos offen, wurde für den harmoniebedürftigen Reus zum ständigen Stressfaktor.

Tuchel über Reus: "Habe mir Sorgen gemacht"

Reus erinnert sich an Momente in der Kabine, in denen die Luft zum Schneiden dick war. Nach einer bitteren Niederlage soll Hummels mit voller Wucht gegen einen Spind geschlagen haben. „So können wir nicht weitermachen!“, brüllte er. Obwohl er keine Namen nannte, wusste jeder im Raum, wer gemeint war: die Offensive, die Führung, Reus.

Hummels‘ Art, Dinge öffentlich und intern radikal anzusprechen, empfand Reus oft als Bloßstellung. Es bildeten sich Lager: Hier die Anhänger des lautstarken Hummels, dort die des stillen Reus. Diese interne Spaltung zermürbte den Kapitän. Hummels war kein Feind im klassischen Sinn, aber er war jemand, der Reus in seinen schwächsten Momenten nicht aufhalf, sondern ihm das Gefühl gab, nicht gut genug zu sein.

Platz 2: Mario Götze – Der Verrat an der Freundschaft

Es gibt Geschichten, die brechen einem das Herz, weil sie so unnötig erscheinen. Die Geschichte von „Götzeus“ gehört dazu. Sie waren das Traumpaar des deutschen Fußballs, unzertrennlich auf und neben dem Platz. Doch dann kam das Jahr 2013, und mit ihm der Wechsel von Mario Götze zum Erzrivalen Bayern München.

Das Schlimmste für Reus war nicht der Wechsel an sich – es war die Art, wie er davon erfuhr. Nicht von seinem besten Freund bei einem Abendessen, nicht in einem vertraulichen Gespräch. Marco Reus erfuhr aus den Medien, dass sein „Bruder“ ihn verlassen würde. Insider beschreiben Reus‘ Reaktion damals als gespenstisch still. Kein Wutausbruch, nur eine leere Stille.

Es war der Moment, in dem die Unschuld ihrer Freundschaft starb. Zwar kehrte Götze Jahre später zurück, und sie spielten wieder zusammen, doch der Riss war nie ganz zu kitten. Die Leichtigkeit war weg, ersetzt durch professionelle Höflichkeit. Für Reus bleibt dies eine der tiefsten menschlichen Enttäuschungen: die Erkenntnis, dass im Geschäft Fußball selbst engste Freundschaften verraten werden können.

Platz 1: Edin Terzić – Der langsame Abschiedsschmerz

Doch keine Enttäuschung sitzt tiefer als die jüngste. Edin Terzić, der Mann aus der Kurve, der BVB-Fan auf der Trainerbank. Er sollte derjenige sein, der Reus‘ Erbe vollendet. Stattdessen wurde er zu dem Mann, der es beendete.

Dortmund approach has evolved under new coach Tuchel, says Marco Reus - ESPN

Platz 1 auf Reus‘ Liste der Enttäuschungen gehört Terzić, weil hier die Fallhöhe am größten war. Reus beschreibt eine schleichende Entwertung. Anfangs waren es nur taktische Wechsel, dann Spiele auf der Bank, schließlich das Gefühl, völlig unsichtbar zu sein. Terzić kommunizierte kaum, entzog Reus Stück für Stück die Verantwortung, ohne ihm dabei in die Augen zu schauen.

Besonders bitter: Nach der dramatisch verpassten Meisterschaft 2023 soll Terzić intern angedeutet haben, dass es an Führungsstärke gefehlt habe. Für Reus, der alles für den Verein gegeben hatte, war das wie ein Dolchstoß. Er fühlte sich zum Sündenbock gemacht für ein kollektives Versagen. Dass Terzić am Ende den Umbruch ohne Reus plante, war für den Routinier die letzte Bestätigung: Loyalität ist im modernen Fußball eine Einbahnstraße.

Ein Blick zurück ohne Zorn?

Heute, mit etwas Abstand, spricht Marco Reus nicht aus Rache über diese Namen. Er spricht aus einer tiefen, menschlichen Verletztheit heraus. Seine Liste ist keine Abrechnung im Zorn, sondern ein Dokument des Schmerzes. Sie zeigt, dass auch Millionäre weinen, dass auch Idole einsam sind und dass der Applaus von der Südtribüne nicht die Stille übertönen kann, wenn man sich von den Menschen, denen man vertraute, verraten fühlt. Marco Reus hat viele Spiele gewonnen, aber in diesen fünf menschlichen Duellen hat er einen Teil seines Glaubens an das Gute im Profigeschäft verloren. Und das wiegt schwerer als jede Niederlage auf dem Rasen.