Ein bitterer Nachgeschmack: Wenn Süßwaren-Chefs den Bezug zur Realität verlieren

Es gibt Momente, in denen Aussagen von Top-Managern nicht nur für Kopfschütteln, sondern für offene Empörung in der Bevölkerung sorgen. Ein solcher Moment ereignete sich kürzlich, als Andreas Ronken, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Alfred Ritter GmbH & Co. KG – besser bekannt als Ritter Sport – seine Ansichten zur deutschen Arbeitsmoral und dem Rentensystem kundtat. Seine Worte, die wohl als wirtschaftspolitischer Weckruf gedacht waren, wirken auf viele wie ein Schlag ins Gesicht der arbeitenden Bevölkerung. „Oft denke ich, uns geht es noch zu gut“, zitierte er sich selbst und löste damit eine Lawine der Kritik aus, die das Image des Traditionsunternehmens aus Waldenbuch nachhaltig beschädigen könnte.

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Der Elfenbeinturm der Chefetage

Die Aussage „Uns geht es noch zu gut“ ist an sich schon gewagt, wenn man bedenkt, mit welchen Herausforderungen der Durchschnittsbürger in Zeiten von Inflation, steigenden Energiekosten und Wohnungsnot zu kämpfen hat. Doch Ronken beließ es nicht bei dieser allgemeinen Feststellung. Er verknüpfte sie direkt mit der Forderung nach einem höheren Renteneintrittsalter. Seiner Meinung nach können und wollen viele Menschen heute länger arbeiten, da die Gesundheitssysteme besser seien und die Arbeit nicht mehr so körperlich belastend wie früher.

Hier zeigt sich eine gefährliche Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung eines hochbezahlten Managers und der Realität eines Großteils der Erwerbstätigen. Natürlich mag es für einen Vorstandsvorsitzenden, der in einem klimatisierten Büro strategische Entscheidungen trifft und dessen „schwerste“ körperliche Arbeit das Tragen einer Aktentasche ist, vorstellbar sein, bis 70 oder gar 80 zu arbeiten. Die geistige Herausforderung und die meist üppige Entlohnung können durchaus motivierend wirken, den Ruhestand hinauszuzögern.

Doch wie sieht es auf der anderen Seite des Spektrums aus? Was sagt der Dachdecker dazu, der seit 40 Jahren bei Wind und Wetter auf dem Gerüst steht und dessen Knie und Rücken chronisch schmerzen? Was sagt die Pflegekraft, die im Schichtdienst schwerstkranke Patienten hebt und wendet, bis die eigene Bandscheibe kapituliert? Für diese Menschen ist die Rente kein „Urlaub auf Staatskosten“, den man aus purer Lust an der Freizeit antritt, sondern eine physische Notwendigkeit, um den Lebensabend überhaupt noch einigermaßen schmerzfrei genießen zu können. Zu behaupten, die Arbeit sei heute generell nicht mehr so belastend, ist eine pauschale Fehleinschätzung, die die Härte vieler Berufe ignoriert.

Der Mythos vom perfekten Gesundheitssystem

Ein weiterer Punkt in Ronkens Argumentation ist der Verweis auf das „bessere Gesundheitssystem“. Auch hier lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen, den ein Privatpatient vielleicht selten wagt. Das deutsche Gesundheitssystem ächzt an allen Ecken und Enden. Wer als Kassenpatient versucht, einen Termin bei einem Facharzt zu bekommen – sei es ein Orthopäde, Neurologe oder Hautarzt –, braucht oft Geduld, die in Monaten gemessen wird.

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Viele Praxen haben einen Aufnahmestopp verhängt, weil sie dem Ansturm der Patienten nicht mehr Herr werden. Das Budgetierungssystem zwingt Ärzte dazu, wirtschaftlich zu kalkulieren, was oft bedeutet, dass ab einem gewissen Punkt im Quartal nur noch das Nötigste behandelt werden kann, ohne dass der Arzt draufzahlt. Die Realität ist eine Zwei-Klassen-Medizin, in der Privatpatienten oft noch am selben Tag einen Termin erhalten, während gesetzlich Versicherte auf Wartelisten landen.

In diesem Kontext davon zu sprechen, dass das Gesundheitssystem so exzellent sei, dass wir alle locker ein paar Jahre länger arbeiten könnten, wirkt zynisch. Es blendet die Versorgungslücken aus, die gerade für die älter werdende Arbeiterschicht zum Problem werden. Wer seinen Körper ein Leben lang verschlissen hat, braucht jetzt medizinische Hilfe – und nicht die Aufforderung, doch bitte noch ein paar Jahre dranzuhängen, weil es ihm „zu gut“ gehe.

Wer soll eigentlich länger arbeiten?

Die Debatte um das Rentenalter und den Fachkräftemangel wird oft emotional geführt, doch Ronkens Vorstoß gießt zusätzlich Öl ins Feuer. Kritiker werfen zu Recht ein, dass es in Deutschland ein enormes Potenzial an Arbeitskräften gäbe, das ungenutzt bleibt. Wir sehen junge, körperlich gesunde Menschen, die durch das Bürgergeld-System oder mangelnde Integrationsmaßnahmen nicht in den Arbeitsmarkt finden, während man von der Generation, die dieses Land aufgebaut hat und nun kurz vor der Rente steht, noch mehr Opfer verlangt.

Es ist eine Frage der Gerechtigkeit: Ist es fair, den 63-jährigen Facharbeiter, der seine Pflicht getan hat, zu zwingen, weiterzumachen, anstatt die Rahmenbedingungen so zu ändern, dass junge, arbeitsfähige Menschen in Lohn und Brot kommen? Die Forderung nach einem späteren Renteneintritt wirkt wie der einfachste Weg für die Wirtschaft, ohne die strukturellen Probleme am unteren Ende des Arbeitsmarktes anzugehen.

Quadratisch, praktisch, klagefreudig?

Als wäre die Rentendebatte nicht schon PR-Desaster genug, sorgt Ritter Sport derzeit auch auf einer anderen Ebene für Kopfschütteln. Das Unternehmen, das so stolz auf seine quadratische Form ist, scheint diese geometrische Figur für sich allein beanspruchen zu wollen. Aktuell läuft ein Rechtsstreit gegen das kleine Mannheimer Start-up „Wacker“, das Bio-Haferriegel vertreibt.

Der Stein des Anstoßes? Die Haferriegel sind quadratisch verpackt. Ritter Sport sieht darin eine Verletzung seiner Markenrechte und fürchtet offenbar Verwechslungsgefahr. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Ein Weltkonzern verklagt ein kleines Unternehmen, weil ein Riegel vier gleich lange Seiten hat. Das Landgericht deutete bereits an, dass die Klage wenig Aussicht auf Erfolg haben könnte, da die Ähnlichkeit zur klassischen Schokoladentafel wohl doch nicht so gravierend ist, wie die Anwälte aus Waldenbuch behaupten.

Dieser juristische David-gegen-Goliath-Kampf wirft ein schlechtes Licht auf Ritter Sport. Es wirkt kleinlich und unsympathisch, wenn ein Marktführer versucht, innovative Konkurrenz mit rechtlichen Mitteln einzuschüchtern, statt sich dem Wettbewerb zu stellen. Zumal es andere quadratische Produkte wie Knoppers oder Hanuta gibt, die seit Jahren unbehelligt in den Regalen liegen. Warum also jetzt dieser aggressive Kurs gegen einen kleinen Bio-Hersteller? Es passt ins Bild einer Unternehmensführung, die den Kontakt zur Basis und das Gespür für Fairness verloren zu haben scheint.

Die Reaktion der Verbraucher: Boykott als Antwort?

In den sozialen Medien und Kommentarspalten brodelt es. Die Kombination aus der als arrogant empfundenen Belehrung des Chefs und dem aggressiven Geschäftsgebaren vor Gericht lässt viele treue Kunden zweifeln. „Wegen dem Ritter Sport Chef esse ich nie wieder seine Schokolade“, ist ein Satz, den man nun öfter liest. Es ist eine emotionale Reaktion auf das Gefühl, dass „die da oben“ nicht mehr wissen, wie es „denen da unten“ geht.

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Schokolade ist ein Genussmittel, ein Stück Lebensfreude. Doch dieser Genuss wird bitter, wenn man beim Reinbeißen an einen Manager denken muss, der einem erklärt, man sei zu faul und solle gefälligst länger arbeiten. Marken leben von Emotionen, und Ritter Sport hat es geschafft, innerhalb kurzer Zeit sehr viele negative Emotionen zu wecken.

Die Preise für Schokolade sind in den letzten Monaten ohnehin explodiert. Wenn dann noch das Image der Marke leidet, greift der Kunde vielleicht doch lieber zur günstigeren Discounter-Ware oder zur Konkurrenz, die sich politisch zurückhält. Es ist ein gefährliches Spiel, das Andreas Ronken hier treibt. Seine Aufgabe wäre es eigentlich, die Marke zu stärken und Produkte zu verkaufen, nicht die eigene Kundschaft zu belehren und zu verärgern.

Fazit: Ein Weckruf der falschen Art

Andreas Ronken wollte vielleicht eine Debatte über die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland anstoßen. Erreicht hat er jedoch das Gegenteil: Er hat die Kluft zwischen Management und Belegschaft, zwischen Elite und Arbeitern, weiter vertieft. Seine Aussagen zeugen von einem Mangel an Empathie für jene, die nicht das Privileg haben, ihren Job bis ins hohe Alter lieben und körperlich leisten zu können.

In Kombination mit dem fragwürdigen rechtlichen Vorgehen gegen kleinere Marktteilnehmer zeichnet sich das Bild eines Unternehmens, das seine Bodenhaftung verloren hat. Ob Ritter Sport diesen Image-Schaden einfach wegstecken kann, wird sich an den Supermarktkassen zeigen. Doch eines ist sicher: Schokolade schmeckt am besten, wenn sie nicht von einem bitteren Beigeschmack aus Arroganz und Realitätsferne begleitet wird. Für viele Verbraucher ist die rote Linie überschritten – sie lassen die bunten Quadrate nun links liegen. Nicht, weil sie sich diese nicht mehr leisten könnten, sondern weil sie sich eine solche Behandlung nicht mehr leisten wollen.