Der Hund stieß das Kleinkind immer wieder um. Als der Arzt den Grund sah, weinten die Eltern.

Der Klang, wenn ein Kleinkind stürzt, hat etwas Finales. Dumpf, schwer, ein Geräusch, das sekundenlang die Welt einfriert, dann ein Schrei. Maria ließ den Pfannenwänder fallen. Die Eier brannten an, sie rannte. Ihr Mann Andreas stürmte schon krawattenlos aus dem Obergeschoss. Panik im Gesicht. Auf dem Teppich lag Emil, zwei Jahre alt, weinend, zitternd, über ihm Rex, der große Schäferhund, aber nicht tröstend.

Er stand starr wie ein Soldat in Alarmbereitschaft. Die Brust hob sich. Ein tiefes, warnendes Bällen. “Rex, nein!”, rief Andreas, griff Emil und hob ihn hoch. Das Kind klammerte sich an ihn schluchzend. Er hat’s wieder getan, sagte Maria leise. Ihre Stimme vibrierte. Ich hab’s gesehen. Emil wollte nur zur Spielzeugkiste.

 Rex hat ihn gestoßen. Mit Absicht. Der Hund wich keinen Zentimeter. Seine Nase zuckte, als würde er die Luft um Emil scannen. Ruhig, unheimlich. “Das ist das dritte Mal”, murmelte Andreas. “Er wird rauer. Er wiegt 35 kg. Maria, das ist gefährlich. Er ist eifersüchtig, flüsterte sie. Seit Emil laufen konnte, hatte sich Rex verändert, blockte ihn, schubste ihn, leckte ihm oft das Gesicht, so als würde er etwas prüfen.

 Und das Schnüffeln, dieses obsessive, unheimliche Schnüffeln. “Wir müssen sie trennen”, sagte Andreas. Er griff nach Rex Halsband. Da knurrte Rex, tief, dunkel, unerwartet. Es war das erste Mal, daß er das je getan hatte und es sollte erst der Anfang sein. Andreas zog Rex mit Mühe in den Garten. Der Hund sträubte sich, kratzte am Teppich, die Augen ununterbrochen auf Emil gerichtet.

 Draußen stellte er sich vor die Glastür, drückte seine Nase dagegen und atmete hektisch. Er bewegte sich nicht, stundenlang nicht, beobachtete nur Emil durch das Glas. Der Tag wurde zäh. Emil klammerte sich an Maria, weinte viel, aß kaum, verlangte ständig nach Saft. Die Hitze lag wie Blei über dem Haus. Maria redete sich ein, es läge am Sturz, aber ein beklemmendes Gefühl nagte an ihr.

 Am Abend sperrten sie Rex in die Waschküche, wollten endlich zur Ruhe kommen. Um 2 Uhr morgens begann das Heulen. Langezogen, klagend, durchdringend. Kein bellen, ein Flehen. Ignoriere es, murmelte Maria erschöpft. Wenn wir runtergehen, lernt er, dass Schreien ihn befreit. Doch dann folgte das Poltern heftig wiederholt.

Er wirft sich gegen die Tür, sagte Andreas. Ich gehe runter”, seufzte Maria. Als sie die Treppe betrat, verflog ihre Gereiztheit. Das Geräusch war verzweifelt, nicht trotzig. Unten riss sie die Tür zur Waschküche auf. Rex stürmte heraus, ein gehetzter Schatten. Doch er lief nicht zum Wassernapf, nicht nach draußen.

 Er raste nach oben, die Krallen rutschten über das Pakett. Maria spürte das kalte Kribbeln im Nacken. Etwas stimmte nicht. Als sie oben ankam, war Rex bereits im Kinderzimmer und was sie dort sah, würde alles verändern. Die Tür zum Kinderzimmer stand offen, leicht schwingend, als hätte jemand sie hastig aufgestoßen. Drinnen stand Rex auf den Hinterbeinen, die Pfoten über das Gitter des Bettes gelegt.

 Sein Körper zitterte vor Anspannung. Sein Jaulen war heiser, brüchig, ein laut reiner Panik. Er stupste Emils Schulter immer wieder vorsichtig, dann drängender, als würde er versuchen, ihn wach zu rütteln. “Runter da!”, flüsterte Maria und griff nach seinem Halsband. “Du machst ihn nur Doch. Der Hund riss sich los, bälte scharf, verzweifelt, als wäre die Zeit gegen ihn.

” Er leckte Emils Gesicht, schnüffelte fieberhaft, schnaubte, jaulte erneut. In diesem Moment kam Andreas ins Zimmer, bleich, einen Baseballschläger in der Hand. “Greift er ihn an”, pres hervor. Beide packten Rex, zogen ihn weg, doch der Hund kämpfte wie nie zuvor, strampelte, kratzte, versuchte immer wieder sich zurückzuwinden, als würde etwas im Bett ihn rufen.

 Erst mit vereinten Kräften schleiften sie ihn hinaus und warfen die Tür zu. Rex kratzte sofort dagegen, wimmerte, heulte tief in seiner Kehle, ein Ton, der selbst die Stille erzittern ließ. “Das war’s”, keuchte Andreas. “Morgen geht er. Ich kann nicht mehr.” Maria drehte sich um, langsam, mit einer Angst, die sich wie kaltes Metall in ihr Herz legte.

 Emil lag im Bett, regungslos, schweißnass, die Hitze im Zimmer war erdrückend. Emil, sie berührte seine Haut, kalt, unnatürlich kalt, und in dieser Kälte begann die Wahrheit aufzubrechen. Andreas. Marias Stimme war kaum mehr als ein Keuchen. Ihre Hände zitterten, als sie Emil rüttelte. Der Kopf des Kindes fiel schlaff zur Seite.

 Kein Mucks, kein Widerstand. Panik zündete wie ein Blitz. Andreas stürmte vor, riiss Emil hoch, spürte seinen schlaffen Körper, rief: “Notruf jetzt!” Die Minuten danach verschwammen in Chaos. Sirenen, Tränen, der schrilleton des Telefons und Rex, Rex, der draußen an der Kinderzimmertür kratzte, unermüdlich, verzweifelt wie getrieben.

 Immer wieder dieser laut Jaulen, das durch Mark und Bein ging. Die Sanitäter kamen. Eine Frau, Sabine beugte sich sofort über Emil, maß, prüfte, zögerte. Starker Unterzucker, er fällt ins diabetische Koma. Maria stockte der Atem. Diabetes, er ist zwei. Typ 1 kann plötzlich auftreten, ohne Vorwarnung. Noch 10 Minuten. Und es wäre vielleicht zu spät gewesen, sagte Sabine ernst.

Im Krankenhaus begann das Warten. Tropf. Überwachung, dann endlich Stabilisierung. Die Farbe kehrte langsam in Emils Gesicht zurück. Stunden später, als sie erschöpft auf dem Kliniksofa saßen, kam der Arzt. blass, aber ruhig. Sie hatten unglaubliches Glück, sagte er. Das nennt man Dead in Betyndrom. Tritt manchmal bei Kleinkindern mit Erstdiagnose auf.

 Still, plötzlich, tödlich. Er sah sie prüfend an. Was hat sie alarmiert? Maria und Andreas sahen sich an und plötzlich ergab alles einen Sinn. Die Puzzelstücke fügten sich. Rex hatte es gespürt, schon Tage vorher. Irgendetwas war in Emil anders. “Er hat es gerochen”, flüsterte Andreas fassungslos. “Unser Hund, er hat es gerochen.” Der Arzt nickte langsam.

Einige Hunde können Veränderungen im Blutzucker über Geruch erkennen, über Atem, Schweiß. Man trainiert Diabetiker, Warnhunde darauf, aber dass ein untrainierter Hund so reagiert, das ist reiner Instinkt und außergewöhnlich. Zwei Tage später kehrten sie mit Emil nach Hause zurück. Ein kleiner Glukosemonitor klebte nun an seiner Seite.

 Maria öffnete die Tür mit schwerem Herzen. Auf der Spielmatte lag Rex, ruhig, Kopf gesenkt. Er rührte sich nicht, wartete vielleicht auf Strafe. Maria kniete sich langsam hin. Tränen stiegen ihr in die Augen. Rex, es tut mir so leid. Der Schäferhund zögerte. Dann kroch er langsam auf sie zu. Flach am Boden, Schwanz kaum bewegt.

 Kein Bällen, kein Drängen, nur Vorsicht. Andreas hob Emil aus dem Autositz. “Geh ruhig”, sagte er leise. “Überprüf ihn.” Rex trat vorsichtig an Emil heran, schnüffelte ganz saft, dann ein tiefer Seufzer. Er legte den Kopf auf Emils kleine Beine. Die Spannung wich aus seinem Körper. Der Geruch war wieder richtig. Sein Junge war sicher.

 In dieser Nacht stellten sie ein Hundebett neben das Kinderbett, aber Rex ignorierte es. Um 3 Uhr morgens war das Nachtlicht gedimmt. Emil schlief ruhig und Rex. Rex lag an das Bett gelehnt, die Schnauze zwischen den Gitterstäben, wachsam, regungslos. der Beschützer an seinem Posten, und kein Mensch in diesem Haus zweifelte je wieder an ihm.