Am Isten September 1939 um 4:45 Uhr beginnt das deutsche Schlachtschiff Schleswig-Holstein mit dem Beschuss der polnischen Westerplatte bei Danzig. Gleichzeitig donnern über 1500 deutsche Flugzeuge über die polnische Grenze. Panzerverbände rollen heran. Der Zweite Weltkrieg hat begonnen.

 35 Tage später ist Polen besiegt. Eine Nation von 35 Millionen Menschen mit einer stolzen militärischen Tradition liegt in Trümmern. Die Welt ist fassungslos. Wie konnte das geschehen? Wie gelang es Hitler, ein ganzes Land in weniger als sechs Wochen zu überrennen? Die Antwort auf diese Frage enthüllt eine Revolution in der Kriegsführung, eine Geschichte von technologischer Überlegenheit, strategischem Genie, aber auch von tragischen Fehleinschätzungen und einem perfekten Sturm ungünstiger Umstände für Polen. Betrachten wir zunächst die

nackten Zahlen. An der polnischen Grenze stehen im September 1939 etwa 1,5 Millionen deutsche Soldaten, organisiert in 52 Divisionen. Die Wehrmacht verfügt über 2600 Panzer, 2000 Flugzeuge und modernste militärische Ausrüstung. Der deutsche Generalstab hat monatelang geplant, hat jeden Aspekt der Operation durchdacht.

 Polen mobilisiert etwa eine Million Soldaten in Divisionen. Auf dem Papier klingt das beeindruckend, doch die Realität sieht anders aus. Die polnische Armee kämpft noch weitgehend wie im Ersten Weltkrieg. Sie verfügt über etwa 700 Panzer, viele davon veraltet. Die Luftwaffe umfasst 400 einsatzfähige Flugzeuge, viele davon hoffnungslos überholt.

 Aber Zahlen allein erklären nicht die Geschwindigkeit der deutschen Eroberung. Schließlich hatte Polen Verbündete. Großbritannien und Frankreich hatten Garantien gegeben und geographisch sollte Polen verteidigungsfähig sein. Was also ging schief? Der Schlüssel zum deutschen Erfolg liegt in einer völlig neuen Art Krieg zu führen, dem Blitzkrieg.

 Diese Doktrin vereint mehrere revolutionäre Elemente zu einer tödlichen Kombination. Erstens, die konzentrierte Anwendung von Panzerkräften. Während traditionelle Militärdoktrin Panzer über die gesamte Front verteilt hätte, um die Infanterie zu unterstützen, konzentriert die Wehrmacht ihre Panzerverbände in eigenständigen Divisionen.

 Diese gepanzerten Fäuste durchbrechen die feindlichen Linien an ausgewählten Punkten und stoßen tief in das Hinterland vor, lange bevor die gegnerische Führung reagieren kann. General Heinz Guderian, der Vater der deutschen Panzertruppe, hat diese Taktik über Jahre entwickelt. Seine Panzer bewegen sich nicht langsam mit der Infanterie, sondern rasen vorwärts, umgehen Widerstandsnester, zerstören Kommunikationslinien und Versorgungswege.

Das Ziel ist nicht die frontale Vernichtung des Feindes, sondern seine Lähmung durch Geschwindigkeit und Desorganisation. Zweitens, die Luftwaffe spielt eine völlig neue Rolle. Statt nur feindliche Flugzeuge zu bekämpfen, fungiert sie als fliegende Artillerie für die vorstoßenden Panzerverbände. Die gefürchteten Stuka Sturzkampfbomber greifen präzise feindliche Stellungen an, zerstören Brücken, Bahnhöfe und Kommandoposten.

 Die psychologische Wirkung ihres charakteristischen Heulens verstärkt die Panik. Drittens, moderne Kommunikationstechnologie. Deutsche Panzerkommandanten verfügen über Funkgeräte. Sie können in Echtzeit koordinieren, auf veränderte Situationen reagieren, Befehle empfangen und weiterleiten. Die polnischen Kommandeure hingegen verlassen sich oft auf Kuriere oder Telefonleitungen, die von der Luftwaffe schnell zerstört werden.

Viertens, die enge Verzahnung aller Waffengattungen. Panzer, Infanterie, Artillerie und Luftwaffe operieren nicht getrennt, sondern als koordinierte Einheit. Diese kombinierte Waffenwirkung überfordert jeden Verteidiger. Der Plan für den Angriff auf Polen, Deckname Fallweiß, ist seit Monaten ausgereift. Die Wehrmacht plant einen Zangenangriff von drei Seiten.

 Aus Ostpreußen im Norden, aus Deutschland im Westen und aus der neu annektierten Tschechoslowakei im Süden. Das Ziel, die polnischen Streitkräfte westlich der Weichsel einzukesseln und zu vernichten, bevor sie sich nach Osten zurückziehen können. Die Heresgruppe Nord unter General Fedor von Bok stößt aus Pommern und Ostpreußen vor mit dem Ziel, den polnischen Korridor abzuschneiden und auf Warschau vorzurücken.

 Die Heeresgruppe Süd unter General Gert von Rundstedt, die stärkste Formation mit den meisten Panzerdivisionen, greift aus Schlesien und der Slowakei an, zielt auf Krakau und soll ebenfalls zur polnischen Hauptstadt vorstoßen. Am 1. September 1939 in den frühen Morgenstunden beginnt das Inferno.

 Ohne Kriegserklärung schlagen die deutschen Streitkräfte zu. Die Luftwaffe startet massive Angriffe auf polnische Flugplätze. Innerhalb der ersten beiden Tage verliert Polen die Luftüberlegenheit. Die meisten polnischen Flugzeuge werden am Boden zerstört oder in aussichtslosen Luftkämpfen abgeschossen. Polen macht einen entscheidenden strategischenFehler.

 Statt sich hinter natürliche Verteidigungslinien wie die Weichsel und den Sand zurückzuziehen und dort eine Verteidigung in der Tiefe aufzubauen, versucht die polnische Führung das gesamte Staatsgebiet zu verteidigen. Diese Entscheidung hat mehrere Gründe. Erstens, politische Überlegungen. Die westlichen Regionen Polens sind wirtschaftlich die wichtigsten.

 Hier liegen die Industriegebiete, die Kohlemien Oberschlesiens, die Textilzentren. Sie aufzugeben scheint undenkbar. Zweitens militärisches Denken der alten Schule. Die polnischen Generäle, geprägt von den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und des polnisch-sowjetischen Krieges von 1920, glauben an lineare Verteidigung und feste Frontlinien.

 Drittens, übermäßiges Vertrauen in die westlichen Verbündeten. Polen erwartet, dass Frankreich binnen 14 Tagen eine Offensive im Westen startet und Deutschland zu einem Zweifronenkrieg zwingt. Man glaubt, nur kurze Zeit durchhalten zu müssen. Diese Strategie führt dazu, dass die polnischen Streitkräfte dünn über eine enorm lange Frontlinie von mehr als 1600 km verteilt werden.

 Nirgendwo gibt es ausreichende Reserven. Als die deutschen Panzerkeile durchbrechen, existiert keine zweite Verteidigungslinie, kein Auffangraum, keine Möglichkeit zum Gegenstoß. Die ersten drei Tage des Krieges entscheiden bereits über Polens Schicksal. Die deutsche Luftwaffe erringt die totale Luftherrschaft. Polnische Truppenbewegungen werden aus der Luft angegriffen.

 Bahnlinien, Brücken, Kommunikationszentren werden zerstört. Das polnische Oberkommando verliert schnell den Überblick über die Lage. Die deutschen Panzerdivisionen durchbrechen die polnischen Linien an mehreren Stellen gleichzeitig. Die Geschwindigkeit des Vormarsches ist beispiellos. Einheiten, die morgens angegriffen werden, sind abends bereits 40 oder 50 km im Rücken der Verteidiger.

 Die polnische Führung gibt Befehle an Einheiten, die längst umzingelt oder aufgerieben sind. Am 3. September erreichen deutsche Panzer bereits die Weichsel bei mehreren Punkten. Die polnische Hoffnung, den Fluss als Verteidigungslinie nutzen zu können, zerbricht. Am 6. September fällt Krakau, die alte Königsstadt. Am 8.

 September stehen deutsche Truppen vor den Toren Warschaus. Zwischen dem 9. und dem 19. September 1939 kommt es zur größten Schlacht des Feldzugs, der Schlacht an der Bizur westlich von Warschau. Polnische Armeen unter General Tadeusch Kutseba, etwa 200.000 Mann stark starten einen Gegenangriff gegen die deutschen Flanken.

 Für wenige Tage scheint dieser Kühne Schlag Erfolgt zu haben. Die Polen erringen lokale Erfolge, nehmen deutsche Einheiten in die Zange. Doch die Wehrmacht reagiert schnell. Panzerverbände werden umgruppiert, Verstärkungen herangeführt. Die Luftwaffe bombardiert die polnischen Kolonnen unablässig. Was als polnische Offensive beginnt, wird zur Falle.

 Die deutschen Truppen schließen den Kessel. Die eingeschlossenen polnischen Verbände kämpfen verzweifelt, aber ohne Luftunterstützung, ohne ausreichende Munition, ohne Hoffnung auf Entsatz. Am 19. September bricht der organisierte Widerstand zusammen. Etwa 120.000 polnische Soldaten gehen in Gefangenschaft. Am 17.

 September 1939 erfolgt der endgültige Todesstoß für Polen. Gemäß dem geheimen Zusatzprotokoll des Hitler Stalin Pakts vom 23. August 1939 marschiert die Rote Armee von Osten in Polen ein. Dieser Einmarsch ist für die polnische Führung ein Schock. Man hatte gehofft, zumindest im Osten einen sicheren Rückzugsraum zu haben, vielleicht sogar sowjetische Neutralität.

Stattdessen öffnet sich eine zweite Front. Die rote Armee trifft kaum auf Widerstand, denn die polnischen Hauptstreitkräfte kämpfen verzweifelt gegen die Wehrmacht im Westen. Polen ist nun hoffnungslos eingekesselt. Flucht nach Rumänien oder Ungarn wird zur einzigen Option für Regierung und überlebende militärische Führer. Am 17.

September überschreitet Präsident Igna Moschitzki die rumänische Grenze. Die polnische Regierung geht ins Exil. Warschau, die stolze Hauptstadt, leistet heldenhaften Widerstand. Vom 8. September an wird die Stadt belagert. Bürgermeister Stefan Starzünnski organisiert die Verteidigung. Soldaten, Polizisten, Zivilisten errichten Barrikaden, graben Schützengräben.

 Die Wehrmacht fordert mehrfach die Kapitulation. Warschau weigert sich. Daraufhin beginnt ein gnadenloser Beschuss. Die Luftwaffe fliegt massive Bombenangriffe. Am 25. September wirft die Luftwaffe über 500 Tonnen Sprengbomben und 70 Tonnen Brandbomben auf die Innenstadt. Tausende Zivilisten sterben.

 Wasserversorgung und Stromnetze Lebensmittel werden knapp. Am 27. September kapituliert Warschau schließlich. Die Stadt ist weitgehend zerstört. Etwa 40.000 Zivilisten haben ihr Leben verloren. Die letzten polnischen Verbände, eingeschlossen in der Festung Modlin und im Gebiet von Kok kapitulieren am 5. Oktober 1939. Eine der brennendsten Fragen ist, warum griffen Frankreich und Großbritanniennicht ein, obwohl sie Polen Garantien gegeben hatten? Beide Länder erklärten Deutschland am 3.

 September den Krieg, doch militärisch geschah praktisch nichts. Frankreich startete zwar die sogenannte SAO am 7. September, doch dies war ein halbherziger Vorstoß. Französische Truppen drangen wenige Kilometer ins deutsche Grenzgebiet vor, besetzten einige verlassene Dörfer und stoppten dann. Es gab keine ernsthaften Versuche, die deutsche Westfront zu durchbrechen.

 Die Gründe sind vielfältig. Frankreich und Großbritannien waren militärisch und psychologisch nicht auf einen Offensivkrieg vorbereitet. Die französische Armee, fixiert auf die Marinolinie hatte keine Offensivdoktrin entwickelt. Die britische Armee war klein und gerade erst mit dem Aufbau eines Expeditionschor beschäftigt.

 Zudem unterschätzte man die Geschwindigkeit des Deutschen Sieges. Man erwartete, Polen würde Monate standhalten, ähnlich wie im ersten Weltkrieg. Als klar wurde, wie schnell Polen zusammenbrach, war es für jede Hilfe zu spät. Ein weiterer entscheidender Faktor war die technologische Überlegenheit der Wehrmacht.

 Deutsche Panzer wie der Panzer 3 und Panzer 4 waren zwar nicht unbedingt besser gepanzert als einige polnische oder französische Modelle, aber sie waren besser organisiert, besser geführt und vor allem sie verfügten über Funkgeräte. Die deutschen Panzer und Panzer Z waren sogar relativ leicht bewaffnet und gepanzert, aber ihre Beweglichkeit kombiniert mit taktischer Flexibilität machte sie überlegen.

 Die polnischen 7 TP Panzer waren technisch durchaus respektabel, aber es gab zu wenige davon und sie wurden defensiv eingesetzt in kleinen Gruppen über die Front verteilt. In der Luft war die Überlegenheit noch deutlicher. Die Luftwaffe verfügte über moderne Messerschmidfäger und Heinkel 111 Bomber. Die polnischen PZL11 und PZL 23 Jäger waren für ihre Zeit ordentliche Flugzeuge gewesen, aber jetzt hoffnungslos veraltet.

 Sie waren langsamer, weniger wendig, schwächer bewaffnet. Der Polenfeldzug demonstrierte der Welt eine neue Form der Kriegsführung. Der Begriff Blitzkrieg wurde weltbekannt. Militärplaner in allen Ländern studierten den deutschen Sieg. Doch viele zogen die falschen Schlüsse oder ignorierten die Warnsignale.

 Frankreich blieb bei seiner defensiven Strategie vertraute auf die Marinolinie. Im Mai würde sich Rechen als deutsche Panzer durch die Ardennen brachen und Frankreich in sechs Wochen besiegten mit exakt derselben Blitzkriegtik, die in Polen so erfolgreich gewesen war. Für Polen bedeutete die Niederlage den Beginn einer sechsjährigen Besatzung von beispielloser Brutalität.

Das Land wurde zwischen Deutschland und der Sowjetunion aufgeteilt. Millionen Polen, darunter die gesamte jüdische Bevölkerung, würden in den kommenden Jahren ermordet werden. Warum also gelang es Hitler Polen so schnell zu besiegen? Die Antwort liegt in einer Kombination mehrerer Faktoren. Eine revolutionäre neue Militärdoktrin traf auf eine veraltete Verteidigungsstrategie.

Technologische Überlegenheit, besonders in Luftwaffe und Panzerkrieg wurde mit taktischem Geschick kombiniert. Polens geographische Lage zwischen zwei feindlichen Mächten erwies sich als fatal. Die westlichen Verbündeten blieben passiv und schließlich unterschätzte die polnische Führung die Geschwindigkeit und Brutalität des modernen Krieges.

 Der Fall Polens im September 1939 war mehr als eine militärische Niederlage. Er markierte den Beginn einer neuen Eha der Kriegsführung und den Anfang des blutigsten Konflikts der Menschheitsgeschichte. Die Lehren aus diesen 35 Tagen hallen bis heute nach.