Es gibt Momente im Fernsehen, die man gleichzeitig festhalten und sofort wieder vergessen möchte. Der Auftritt von Thomas Gottschalk (75) bei der diesjährigen Romy-Verleihung im österreichischen Kitzbühel war genau solch ein Moment. Was als glanzvolle Krönung eines unvergleichlichen Lebenswerks geplant war – die Überreichung der eigens geschaffenen “Diamant-Romy” – entwickelte sich zu einem Schauspiel, das bei vielen Zuschauern und Gästen vor allem eines hinterließ: Ratlosigkeit, Mitleid und die bange Frage: Was ist nur mit Tommy los?

Die Chronik eines bizarren Abends

Kitzbühel sollte ein Heimspiel sein. In Österreich wird Gottschalk traditionell verehrt, hier ist der Schmäh lockerer, die Kritik oft leiser als im strengen Deutschland. Doch selbst dieser Heimvorteil konnte die Szenerie nicht retten. Schon der Einstieg in seine Dankesrede ließ erahnen, dass der Abend schwierig werden würde. “Morgen muss ich mich in Deutschland wieder entschuldigen”, verkündete Gottschalk fast trotzig, wohl wissend, dass seine Worte auf die Goldwaage gelegt würden. Er lobte den österreichischen Humor und stellte ihn über den deutschen – eine harmlose Spitze, wäre sie nicht in einen Kontext ständiger Rechtfertigung eingebettet gewesen.

Doch dann kippte die Stimmung merklich. Gottschalk begann, über technische Details zu lamentieren, beschwerte sich über das zu niedrig eingestellte Mikrofon (“In Deutschland wird das angepasst”) und verlor sich in wirren Reimen über “Tommy” und “Romy”, die er als schlechte Kombination für eine Serie abtat. Das Publikum lachte höflich, doch die Kameras fingen Gesichter ein, die Bände sprachen: verlegenes Lächeln, fragende Blicke, Tuscheln.

Der Moment, als die Zeit stillstand

Der absolute Tiefpunkt des Abends war jedoch nicht verbaler Natur. Plötzlich entdeckte Gottschalk den Countdown-Timer am Bühnenboden, der Rednern normalerweise diskret anzeigt, wie viel Zeit ihnen noch bleibt. Anstatt ihn zu ignorieren oder souverän zu überspielen, begann Gottschalk lautstark, die Sekunden herunterzuzählen: “30, 29, 28…” Es wirkte fast manisch, wie ein Mann, der gegen die verrinnende Zeit ankämpft – im übertragenen wie im wörtlichen Sinne.

“Die Zeit läuft, aber wo ist eigentlich meine Romy?”, fragte er irritiert ins Publikum. Die Situation drohte ins Peinliche abzugleiten, bis Hans Sigl, der bekannte “Bergdoktor”, die Bühne betrat. Wie ein Pfleger, der einen verwirrten Patienten beruhigt, nahm er das Mikrofon und sagte sanft: “Ganz ruhig, Tommy.” Ein Satz, der so viel Fürsorge, aber auch so viel traurige Wahrheit enthielt. Er rettete den Moment, aber er konnte das Gefühl nicht vertreiben, das sich im Saal ausgebreitet hatte: Hier steht ein Mann auf der Bühne, der die Kontrolle verliert.

Michael Jackson und die Geister der Vergangenheit

Als er die Trophäe endlich in den Händen hielt, folgte der nächste Fauxpas. Gottschalk erinnerte daran, dass er sich einst eine Romy mit Michael Jackson teilen musste. “Diese ist ganz allein meine. Michael ist ja inzwischen weg, keine Konkurrenz mehr.” Ein Satz über einen toten Weltstar, der 2009 unter tragischen Umständen starb? Für viele im Saal und vor den Bildschirmen war das mehr als nur unsensibel. Es wirkte wie der verzweifelte Versuch, witzig zu sein, ohne das nötige Feingefühl für den Moment zu besitzen. Es sind genau diese Momente, die Kritiker meinen, wenn sie sagen, Gottschalk habe den Anschluss an die heutige Zeit verloren.

Was sagen Freunde und Insider?

Hinter den Kulissen mischt sich Sorge mit Respekt. Langjährige Weggefährten berichten, dass Gottschalks Terminkalender nach wie vor prall gefüllt ist. Hinzu kommt ein privater Umzug, Kisten schleppen, Bücher sortieren – eine physische und psychische Belastung, die auch an einem 75-Jährigen nicht spurlos vorbeigeht. “Ich bin so gesund, wie ein 75-Jähriger eben sein kann”, sagte Gottschalk selbst nach der Gala. Ein Satz, der beruhigen soll, aber auch ein Eingeständnis der eigenen Endlichkeit ist.

Ein Insider wird deutlicher: “Tommy will nicht, dass jemand sieht, dass er schwächer wird. Er versucht, witzig zu bleiben, locker, aber manchmal macht ihn genau dieser Zwang zum Ziel unfairer Kommentare.” Er wolle nicht aufhören, er höre nur auf, weil die Zeit ihn dazu zwinge.

Abschied auf Raten: Der 6. Dezember naht

Der Auftritt in Kitzbühel war ein Vorbote dessen, was uns am 6. Dezember erwarten könnte. Dann wird Thomas Gottschalk zum allerletzten Mal live bei RTL in der Show “Denn sie wissen nicht, was passiert” zu sehen sein. Es ist der endgültige Abschied von der großen Live-Bühne. Viele Fans blicken diesem Datum nun mit gemischten Gefühlen entgegen. Wird es ein triumphaler Abgang? Oder werden wir erneut Zeuge eines Idols, das über die eigenen Füße stolpert?

Die Tragik liegt darin, dass Thomas Gottschalk unbestreitbar Großes geleistet hat. Er hat das deutsche Fernsehen revolutioniert, er war der “Lagerfeuer”-Moment für Millionen Familien. Vielleicht ist es gerade diese überlebensgroße Vergangenheit, die die Gegenwart so schmerzhaft macht. Jeder Fehltritt kratzt am Lack des Denkmals, das wir uns alle von ihm gebaut haben.

Fazit: Ein Held in der Dämmerung

In Kitzbühel verließ Thomas Gottschalk die Bühne unter Standing Ovations. Doch der Applaus galt wohl mehr der Vergangenheit als der gerade gesehenen Performance. Es war ein Applaus des Respekts, aber auch des Abschieds. Die Blicke folgten ihm länger als sonst, als wollten die Menschen noch einmal den “alten Tommy” sehen, bevor er endgültig im Schatten der Kulissen verschwindet.

Es bleibt zu hoffen, dass Gottschalk seinen Frieden mit dem Ruhestand findet. Dass er erkennt, dass er niemandem mehr etwas beweisen muss – schon gar nicht durch bizarre Countdowns oder missglückte Witze. Er ist und bleibt eine Legende. Aber Legenden müssen wissen, wann das Licht ausgeht. Kitzbühel hat gezeigt: Es flackert bereits gewaltig.